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Was kann ich als Mutter und Vorbild meine weissen Privilegien hinterfragen? Wie kann ich dafür sorgen, dass die #BlackLivesMatter-Bewegung nachhaltig bleibt? Und nicht nur ein Instagram-Hype? Diese Fragen haben in den letzten Wochen viele von uns beschäftigt. Antworten drauf hat Dr. Nekichi Madubuko. Frau Madubuko ist Soziologin und Diversitytrainerin an Universitäten. Und sie hat das Buch «Empowerment als Erziehungsaufgabe: Praktisches Wissen für den Umgang mit Rassismuserfahrungen» geschrieben. Sie hat ausserdem zwei Teenager-Jungs und eine achtjährige Tochter. Das ist ein Gespräch für Eltern, Erzieher*innen und alle Menschen die mit Kindern zu tun haben. Sprich alle.

#10 Folge über antirassistische Erziehung zum Hören

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#10 Folge über antirassistische Erziehung zum Lesen

Frau Nkechi Madubuko, was gehört zu einer antirassistischen Erziehung?

Der Begriff diversitätssensible Erziehung gefällt mir besser als antirassistische Erziehung. Es ist wichtig, Kindern die Unterschiede von Menschen beizubringen, ihnen zu sagen, dass es diese gibt, aber zu betonen, dass man Menschen nicht auf der Basis von unterschiedlicher Hautfarbe, Haarfarbe, Augenfarbe, Religionszugehörigkeit oder (kulturell beeinflusster) Kleidung negativ bewertet, abwertet oder ausschliesst und es in keiner Weise in Ordnung ist, diese Menschen anders oder schlechter zu behandeln, nur weil sie nicht dem Normalverständnis entsprechen von dem, was man jeden Tag sieht oder was man von zuhause kennt. Kinder sollten mit so viel Vielfalt wie möglich in Berührung kommen und konfrontiert werden. Bereits im Kindergarten sollte man anfangen, Kinder mit unterschiedlichen Sprachen und Religionen in Kontakt zu bringen, sie ihnen zu erklären und ihnen die Möglichkeit zu geben, Fragen zu stellen. Man sollte die Neugierde der Kinder nutzen, um sie auch mit Inhalt zu füllen. Dabei ist es wichtig, wertschätzend auf Unterschiede einzugehen, aber eben nicht in der Form, dass man bspw. kleine Kinder, die Unterschiede mitbringen, einfach in einem Raum sich selbst überlässt, sondern dass ein Erwachsener da ist, wenn sie anfangen, Zuschreibungen oder Gruppenzugehörigkeiten herzustellen. Gerade im Kindergartenalter brauchen Kinder Lehrpersonen oder Eltern, die da sind und Dinge klarstellen oder zurechtrücken. Wenn ein Kind z.B. mit dem Finger auf eine Frau zeigt, die ein Kopftuch trägt, dann braucht es ein Elternteil, das dem Kind erklärt, dass man das nicht macht und dass das unhöflich ist. Zuhause kann man dem Kind dann z.B. ein Buch aus Ägypten zeigen, in dem alle ein Kopftuch tragen, was dort völlig normal ist und mit der Religion zu tun hat, und ihm erklären, dass es fünf verschiedene Weltreligionen gibt und unsere nur eine der fünf ist. Kinder wachsen ja teilweise oft mit sehr einseitigen Lebensrealitäten auf, die ihre Eltern nicht vervielfältigt haben auf das, was es sonst noch gibt. Dort eine Normalität zu vermitteln, das ist Teil der sogenannten antirassistischen Erziehung.

Wie kann man reagieren, wenn jemand im Umfeld oder in der Familie rassistische Äusserungen macht?

Gewisse Begriffe dürfen wegen ihrer Vorgeschichte nicht verwendet werden, ds N-Wort geht zum Beispiel gar nicht. Abwertende Begriffe dürfen nicht am Leben erhalten werden. Manche Begriffe haben einen Bezug zur Kolonialzeit, die sich auf der Rassentheorie von der überlegenen weissen Rasse bezieht. Oder sind angelehnt an das Tierreich, wie das Wort „Mulatte“ oder „Mischling“ für Menschen zu verwenden. Solche Begriffe zu verwenden, bedeutet diesen Hintergrund zu benutzen als Sprache für das Miteinander heute. Will man das? Sollen das unsere Kinder sagen?

Natürlich nicht, was kann man da als Eltern konkret tun?

Man muss sich positionieren! Rassismus anzusprechen und sich gegen Rassismus zu positionieren heisst natürlich nicht immer, sich Freunde zu machen. Oft heisst es sogar, eine Situation auszuhalten, die unangenehm ist, aber es lohnt sich, weil es immer Situationen gibt, in denen Zuhörer dabei sind, und vielleicht wird in einer anderen Situation auch einer dieser Zuhörer den Mut haben, sich gegen Rassismus zu positionieren. Man muss auch ganz klarsehen, dass es bei Rassismus immer zwei Perspektiven gibt: Ein weisser Mensch kann sich entscheiden, ob er sich damit auseinandersetzen möchte oder nicht. Ein schwarzer Mensch jedoch hat diese Wahl nicht, er muss sich damit auseinandersetzen, da er ständig damit konfrontiert ist. Aber als weisser Mensch kann man ein ally sein, ein Verbündeter, gegen Rassismus. Man braucht eine klare Haltung, manchmal muss man auch ein Störfaktor sein und einen Konsens aufbrechen, z.B. indem man sagt, dass man nicht möchte, dass ein bestimmtes Wort ausgesprochen wird. Zum Schutz seiner Kinder muss man sich je nachdem dann auch von Teilen der eigenen Familie distanzieren. Ich weiss von mehreren weissen Müttern mit schwarzen Kindern, die sich von Teilen ihrer Familie zum Schutz ihrer Kinder abgelöst haben, weil sie es nicht mehr hinnehmen wollten, dass ihre Kinder immer wieder bezeichnet und abgewertet werden.

Wie schafft man es, Verbündete zu kriegen?

Man soll es ansprechen, wenn rassistische Begriffe fallen. Und zwar so, dass die, die dabei sind, das mitbekommen und dass man hier ein Grundverständnis etabliert, nämlich dass in meinem Beisein solche Begriffe nicht fallen und niemand abgewertet wird. Vieles wird ja als Witz abgetan oder als Stereotyp reproduziert, aber man kann sich trotzdem positionieren. Es ist beispielsweise auch grenzüberschreitend, schwarzen Kindern in die Haare zu greifen. Wieso gilt, dass man Kinder nicht angreifen soll, aber schwarzen Kindern darf man in die Haare greifen, ohne zu fragen? Es geht darum, sich klar zu machen, dass man als weisser Mensch ein Privileg hat, weil man sich aussuchen kann, sich über das Thema Gedanken zu machen, sich damit auseinanderzusetzen oder eben nicht. Sein eigenes Weiss-Sein zu reflektieren bedeutet, auch die eigene Sicht auf sich und die Welt zu reflektieren und zu verstehen, dass anhand von Hautfarben Menschen Zugänge ermöglicht werden oder nicht. Oft wird in banalen Alltagsituationen die Hautfarbe herbeigezogen, werden Dinge meiner Hautfarbe zugeschrieben. Auch die Frage woher man kommt und wann man denn wieder zurückgeht. Man möchte sich da nicht immer komplett biografisch ausziehen müssen! Es ist in der Mehrheitsgesellschaft noch nicht angekommen, dass es in Deutschland wahnsinnig viele unterschiedliche Menschen aus unterschiedlichen Ländern in mehreren Generationen gibt. Es bedeutet Stress für schwarze Menschen, wenn sie sich im Alltag immer wieder verteidigen, positionieren und äussern müssen.

Warum soll man Kinder nicht mit der Botschaft erziehen, dass alle Menschen gleich sind? Warum ist diese Haltung problematisch?

Es stimmt einfach nicht. Das sind Wunschvorstellungen. Es gibt auch die Wunschvorstellung, dass alle akzeptiert sind, alle die gleichen Zugänge kriegen, etc. Aber die Realität ist leider nicht so. Ich glaube es bringt viel mehr, Kinder auf Unterschiede hinzuweisen, zu zeigen, ja, es gibt Ungleichbehandlung. Ab einem Alter von ca. sechs bis zehn Jahren kann man mit Kindern über Menschen sprechen, die unterschiedliche Zugänge in der Gesellschaft erleben. Und das muss man wertschätzend machen. Ich finde es wichtig, Kindern die Möglichkeit zu geben, so viele unterschiedliche Erfahrungen machen zu dürfen wie möglich, z.B. zum türkischen Freund nach Hause zu gehen, oder ihnen mit Vielfalt-Büchern die Normalität näher zu bringen, z.B. durch Bücher mit islamischem Alltag (z.B. Wimmelbuch), Regenbogenfamilien (zwei Väter oder zwei Mütter), unterschiedlichen Religionen, unterschiedlichen Hautfarben (Papa weiss und Mama schwarz) usw. Das sollte die Normalität sein, die man seinem Kind beibringt. Dieses Kind wird dann auch nicht auf die Frau mit dem Kopftuch zeigen, weil es das bereits aus Büchern kennt und aus dem Kindergarten oder vielleicht sogar eine Freundin hat, die ein Kopftuch trägt. Es geht darum, dieses Fremde aufzubrechen und den Kindern Vielfalt zeigen. Und normal ist jede Gruppe, in der jede Vielfaltsdimension vertreten ist. Und es ist wichtig, bei Kindern eine Empathie dafür zu entwickeln, wie verletzend es ist, gehänselt zu werden. Vor allem vor dem Hintergrund, dass man ja mehr Gemeinsamkeiten hat und Unterschiede relativ unwichtig sind, gerade wenn es darum geht, gemeinsam zu schaukeln oder zu spielen.

Wie sollen weisse Menschen mit ihren Kindern über Rassismus sprechen?

Man muss sich die folgenden Fragen stellen: Wie wird über andere Menschen gesprochen, haben wir schwarze Menschen in unserem Umfeld, was wird ihnen zugeschrieben? Wie rede ich über andere Menschen? Was lernt das Kind an Zuschreibungen gegenüber schwarzen Menschen? Wie viel Wertschätzung bringe ich anderen Menschen entgegen? Wenn das eigene Kind mitbekommt, dass man sich gegenüber der Abwertung von anderen Menschen positioniert, dann lernt es, dass sich die Eltern gegen Diskriminierung einsetzen. Man muss Vorbild sein, so dass das Kind diese Haltung als normal erlebt. Denn diese Haltung wird dann auch auf das Kind übertragen. Kinder imitieren ihre Eltern, und wenn diese bei Abwertungen den Mund halten, werden das die Kinder genauso tun.
Grundsätzlich kann man bei jüngeren Kindern diesbezüglich viel mit Büchern arbeiten und viel durch ein Miteinander. Bei älteren Kindern kann man wiederum z.B. anhand eines Beispiels aus der Werbung argumentieren oder in einer aktuellen Situation das Thema ansprechen. Man kann das gut mit Bespielen untermauern. Der Alltag gibt einem tausend Gelegenheiten, über Ausgrenzung zu sprechen.

Kinder sind ja grundsätzlich offen und unvoreingenommen. Wie gelingt es Eltern, diese Offenheit der Kinder zu bewahren?

Es ist die Erfahrung mit Ausgrenzung, die Kindern leider ihre Unvoreingenommenheit wegnimmt. Das kommt meistens nicht von den Eltern. Es ist traurig, was Kinder auf dem Schulhof erleben, wenn sie z.B. „schwarze Kacke“ genannt werden. Kinder sind nicht immer so unschuldig, wie man sie gerne hinstellt. Sie können sehr gemein sein.

Was können Eltern bei rassistischen Zuschreibungen ihrer Kinder gegenüber schwarzen Kindern machen? Sich nicht einmischen, weil Kinder das selbst regeln?

Ich würde genau das Gegenteil sagen: Dinge mitzubekommen ist wichtig. Kinder werden versuchen, das zu kaschieren, gerade wenn sie es sind, die Druck ausüben. Sie werden das zuhause natürlich nicht erzählen. Als schwarze Eltern kann man mit der Tagesbetreuung sprechen oder zu den anderen Eltern hingehen und ihnen mitteilen, dass das eigene Kind sehr verletzt ist durch gewisse Äusserungen. Eltern sollten aktiv sein und versuchen, das alles mitzubekommen. Sie sollten sich die Zeit nehmen herauszufinden, ob da vielleicht eine Mobbingsituation besteht. Und weisse Eltern müssen wissen, dass das eigene Kind eben vielleicht auch unfaire Sprüche macht. Kinder schnappen sehr viel auf und probieren jedes Wort aus. Man sollte zuhause über Schimpfwörter sprechen, Statements dazu äussern, damit Kinder einen Orientierungspunkt haben. Aber wer denkt, dass Kinder unvoreingenommen und vorurteilsfrei sind, liegt falsch. Das ist eine Traumvorstellung. Vor allem wenn ein Kind schwächer ist, das wird ja auch gesucht, dass man auf Schwächeren herumhacken kann. Leider funktioniert der Mensch so. Die Frage ist aber, sollte man sie dann auch noch alleine lassen? Ich würde sagen: Nein!

Im Rahmen der Black-Lives-Matter-Bewegung haben viele Influencer eine schwarze Kachel als Statement gegen Rassismus auf Instagram gepostet. Welche konkreten Aktionen oder Inhalte würden Sie sich von diesen (zumeist weissen) Influencern, die ja oft eine grosse Reichweite haben, wünschen?

Eine schwarze Kachel ist natürlich entspannt, denn es gibt ja keine Widerstände und keine unangenehmen Rückmeldungen, wenn man etwas postet. Jeder hat jetzt die Aufgabe, in seinem täglichen Umfeld und professionellen Kontext diesem schwarzen Bild noch Taten folgen zu lassen, sich zu positionieren, zu reden, unangenehm zu sein und dort, wo man Einfluss hat, neue Impulse zu setzen. Es wäre wünschenswert, wenn jeder, der eine schwarze Kachel auf Instagram gepostet hat, jetzt diese Aufgabe wahrnimmt und so viel Information wie möglich und so weit wie möglich zu den Menschen bringt! Auf meiner Website https://www.nkechi-madubuko.de/ habe ich eine Liste mit Literatur, Bücher und Broschüren. Man braucht etwas zum Einlesen, um Perspektiven und Diversität kennenzulernen. Es ist wichtig, Diversität bewusst wahrzunehmen, die eigenen Merkmalsdimensionen Hautfarbe, Geschlecht, kulturelle Zugehörigkeit, Herkunft, Religion, sexuelle Identität etc. zu sehen und damit ein Bewusstsein aufzubauen. Jeder Mensch bringt verschiedene Dimensionen mit und daran gebundenen Erfahrungen. Es ist sehr bereichernd, in dieses Feld einmal einzutauchen und dabei vielleicht auch mal zu sehen, wie die Lebensrealität von anderen Menschen aussieht, z.B. als heterosexueller Mensch zu sehen, was man als homosexueller Mensch erlebt.

Gibt es noch etwas, das Ihnen im Kontext von Rassismuserfahrungen am Herzen liegt?

Ich möchte einfach noch einmal sagen, wie verletzend Rassismus ist. Wenn man das von Kindesbeinen an kontinuierlich erlebt, in allen möglichen Alltagssituationen, Bildungsinstitutionen, an der Uni, bei der Arbeit etc., das macht einen fertig. Man kann sich das kaum vorstellen, wie verletzend das ist, wenn man nicht davon betroffen ist. Ich möchte daher erneut dafür plädieren, sich von der Vorstellung zu lösen, dass diese Erfahrungen von Verletzungen lediglich Kleinigkeiten sind, dass diese Sprüche nichts bewirken. Sie sind massiv und können die ganze Persönlichkeitsentwicklung eines Menschen negativ beeinflussen. Und es ist mir wichtig zu betonen, dass die Personen, die in professionellen Kontexten mit Kindern arbeiten, auf Ausgrenzung und Diskriminierung reagieren. Sie müssen den Mund aufmachen. Die Kinder können das nicht selbst regeln. Sondern es verfestigen sich sonst nur Machtstrukturen. Gerade Lehrpersonen müssen verstehen, dass es ihre Aufgabe ist, dass kein Kind in ihrer Klasse Diskriminierung erlebt. Tretet also nach vorne, seid allies und kauft die richtigen vielfaltssensiblen Kinderbücher (auch die Verlage sollten darauf sensibilisiert sein, dass solche Bücher gewünscht sind, jedes Kinderbuch sollte vielfaltssensibilisiert sein). Und ein grosses Sortiment an Hautfarbenstiften ist wichtig! Es gibt nicht die eine Standardfarbe. Damit sich wirklich alle Kinder repräsentiert fühlen können, müssen das mindestens zehn verschiedene Farben sein.

Dr. Nkechi Madubuko ist Soziologin und Diversity-Trainerin (www.nkechi-madubuko.de). Sie ist ausserdem Autorin von Empowerment als Erziehungsaufgabe: Praktisches Wissen für den Umgang mit Rassismuserfahrungen (ISBN 978-3-89771-597-4)

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Das Titelbild hat die Familienfotografin Simona Dietiker on Momoland Photo gemacht.