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Potenziell ist jedes dritte Kind in Deutschland von Rassismus betroffen. Rassistische Erfahrungen und Ablehnungen in der Kita oder Schule verletzen die Seelen der Kinder. Was können Eltern tun, wenn ihr Kind traurig nach Hause kommt, weil es im Kindergarten Sprüche wegen seiner Hautfarbe anhören musste? Wie können Eltern ihre Kinder stark machen, um mit Rassismus umzugehen? Ab welchem Alter erklärt man Kindern das Phänomen Rassismus? Wie schafft man es Kinder dabei nicht zu ängstigen oder ihnen ihre Offenheit und Neugier zu nehmen? Diese und weitere Fragen stellt Ellen Girod an Dr. Nkechi Madubuko.

Dr. Nkechi Madubuko, Soziologin und Diversitytrainerin hat diesen Fragen ein Buch gewidmet: «Empowerment als Erziehungsaufgabe: Praktisches Wissen für den Umgang mit Rassismuserfahrungen». Diese Folge ist für Eltern, deren Kinder potenziell von Rassismus oder Mobbing betroffen sind.

#8 Folge mit Dr. Nkechi Madubuko zum Hören

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#8 Folge mit Dr. Nkechi Madubuko zum Lesen

Frau Nkechi Madubuko, Sie haben afrikanische Wurzeln. Wie positionieren Sie sich selbst?

Ich bin als schwarzes Mädchen in Deutschland aufgewachsen und positioniere mich selbst als Afrodeutsche. Meine Identität ist ganz klar auch nigerianisch geprägt, aber in Deutschland sozialisiert.

Sie betonen in Ihrem Buch die Maxime, dass der Schutz des Selbstwertgefühls des Kindes immer Vorrang hat. Sie beschreiben aber auch, dass viele Eltern das Gefühl hätten, sie seien überempfindlich. Wie kann man Eltern ermächtigen („empowern“), sich für ihre Kinder einzusetzen, ohne Angst zu haben, überbeschützend oder überempfindlich zu sein?

Grundsätzlich kann man allen Eltern sagen, dass ihr Kind das Recht hat, diskriminierungsfrei aufzuwachsen. Das steht dem Kind zu und jede Institution oder jeder gesellschaftliche Kontext, in dem das Kind sich bewegt, sollte das vor Augen haben. Wenn sich Eltern für dieses Recht einsetzen, sollten sie sich keine Gedanken machen. Gleichbehandlung stellt in diesem Zusammenhang keine Überempfindlichkeit dar.

In Ihren Studien haben Sie aufgezeigt, dass es Menschen gibt, die starke Rassismuserfahrungen erfolgreich verarbeiten konnten. Sie bezeichnen diese Menschen als „Verarbeitungskünstler“. Welche Faktoren haben bei diesen Menschen in der Kindheit eine Rolle gespielt?

Diese Kinder hatten übereinstimmend ein Elternhaus, in welchem sie über ihre Erfahrungen sprechen konnten; ein Elternhaus, in dem die eigene Herkunft und Religion mit Stolz und Wert vermittelt wurden. Sie hatten zuhause im sozialen Umfeld Ansprechpartner. Es ist essenziell zu wissen, dass eine Tabuisierung, d.h. wenn Eltern praktisch so tun, als ob das Problem des Rassismus nicht existiert, zu Verschlimmerung führt. Die Verarbeitungskünstler hatten ausserdem eine emotionale Distanz zu dem Phänomen. Sie wussten, dass sie Rassismus nicht persönlich nehmen dürfen, sondern dass es eine gewisse soziale Handlungsweise gegenüber bestimmten Menschen gibt, die bestimmte Merkmale haben, die aber nichts mit ihrer eigenen Person zu tun haben. Die Eltern haben diesen Kindern gelehrt, dass Vorurteile gegenüber anderen Hautfarben und Religionen lediglich Schablonen sind, welche das Kind jedoch nicht repräsentieren.
Weitere Faktoren sind sowohl innere wie auch äussere Erfahrungs- und Schutzräume. Innere Schutzräume sind zuhause, wo das Kind Ansprechpartner hat, wo dem Kind Strategien vermittelt werden, was es in bestimmten Situationen tun oder wie es sich abgrenzen kann. Innere Schutzräume vermitteln ein Schutzgefühl, dass das Kind weiss, wenn etwas ist, dann kommen meine Eltern und sorgen dafür, dass das aufhört. Das führt dazu, dass kein Opfergefühl da ist, kein Gefühl, ausgeliefert zu sein und nichts tun zu können.
Der äussere Schutzraum wiederum kann beispielsweise die Jugendgruppe sein, die Diaspora, das können alle möglichen Arten von Räumen sein, wo die Kinder als Individuen wahrgenommen werden und ihnen ohne Vorurteile und Zuschreibungen begegnet wird. Diese Gegenerfahrungen sind wichtig um zu spüren, dass diese Zuschreibungen nicht per se gegeben sein müssen. Insofern ist ein Schutzraum ein Raum zum Aufatmen, zum Loslassen.

Wie können Eltern ihre Kinder bestärken, stolz auf ihr Herkunftsland zu sein?

Am besten wäre natürlich, hinzufahren! Dort das Gefühl zu leben, in einem anderen Kontext zur Mehrheit zu gehören. Das kann einen stärken. Denn hier sticht man allein schon durch die Hautfarbe heraus. Das Gefühl, dass man zu einer Mehrheit gehört, kann hier aber ebenso die afrodeutsche Kindergruppe sein, die das Kind ein Mal pro Woche trifft. Oder sonstige Kontakte zu anderen schwarzen Kindern; das kann auch einfach ein Treffen auf dem Spielplatz sein. Gleichwohl kann man auch zuhause sichtbar machen, wo man herkommt, so dass sich das Kind als wertvoll erlebt. Diese Werte kann man durch kulturelle Ausdruckformen vermitteln. Das kann durch Essen, durch Sprache, das Aufhängen von Familienbildern der afrikanischen Seite, durch Filme mit dunkelhäutigen Protagonisten und Helden, die schwarze Puppe, das Besuchen von afrikanischen Festen oder Festivals und durch Freundeskreise und das Pflegen von persönlichen Kontakten sein, z.B. dass man den schwarzen Onkel aus Namibia kennt oder mit ihm chatten kann.

Was können Eltern sagen, wenn ein Kind nach Hause kommt und erzählt, dass man ihm gesagt hat, Muslime seien gefährlich?

Hier muss man versuchen, diese Schablone, diese Zuschreibung, aufzulösen und zu zeigen, dass sie nicht stimmt. In solchen Fällen kann man Gegenbeispiele machen, man kann beispielsweise von Muslimen erzählen, die anderen geholfen haben, die sich für die Gemeinschaft eingesetzt haben. Und man kann auch darauf hinweisen, dass bei religiös motivierten Taten von Muslimen oft auch die eigenen Glaubensbrüder ums Leben kommen, dass Terroristen insofern eine Gefahr für alle darstellen.

Ab wann soll Rassismus ein Thema im Kindergarten oder in der Schule sein?

Im Kindergarten sollte noch nicht mit dem Begriff Rassismus gearbeitet werden. Bei Vorfällen wegen der Hautfarbe sollen die Erziehenden die Kinder darauf hinweisen, dass die Hautfarbe unwichtig ist, dass sie keine Rolle spielt. Es soll darauf geachtet werden, wie die Erziehenden mit Situationen, in denen ein Kind ausgegrenzt wird, umgehen und darauf Wert gelegt werden, dass die Erziehenden achtsam sind und zu Vorfällen Stellung nehmen.

Im Schulalter, also ab sechs, sieben Jahren, soll Rassismus indes bereits ein Thema sein. Dort kann aufgezeigt werden, dass es Schablonen (Vorurteile) gibt, die für Menschen angewendet werden, dass diese aber nicht stimmen und nicht angenommen werden müssen. Und es soll vermittelt werden, dass Hautfarbe unwichtig ist, dass es der Mensch ist, der unter dieser Haut steckt, der zählt. Kritisches Denken ist wichtig und das kann und muss schon früh vermittelt werden.

Wie kann man z.B. Kita-Personal, das sich nicht für die Sache einsetzt, zum Umdenken bringen?

Erst kann man das Gespräch suchen, die Betreuenden können auf Artikel in Büchern verwiesen werden, und darauf, dass Vielfalt wertschätzend behandelt wird. Das kann man auch einfordern. Ansonsten könnte man die Leitung ansprechen und Beispiele sammeln (dokumentieren, wie falsch reagiert wird etc.). Dann kommt es natürlich darauf an, wie hart der Widerstand ist. Wenn Ausgrenzung da ist, dann würde ich eine andere Kita suchen. (https://wamiki.de/shop/buecher/inklusion-zusammenarbeit-mit-eltern/)

Sie betonen immer wieder die Wichtigkeit von emotionaler Distanz. Wie kann einem Kind eine solche vermittelt werden?

Emotionale Distanz bedeutet eine Selbstschutzhaltung einzunehmen. Gewisse Dinge nicht einfach so anzunehmen, sondern als ein Phänomen, als eine Schablone zu sehen, die nicht für einen selber funktioniert. Emotionale Distanz hat man als Kind aber nicht mit einem Satz gelernt. Es ist ein Basiswissen, das man dem Kind immer wieder mitgeben kann: «Du bist ein wertvoller Mensch ist und es stimmt nicht, was die anderen sagen. Das was Dir von aussen angeworfen wird, hat überhaupt nichts mit dir selbst zu tun, das sind einfach nur Sprüche.» Dabei ist es wichtig, dass das Kind weiss: Ich kann eigentlich mit jeder Geschichte zu meiner Mama und oder zu meinem Papa kommen und die werden mir zuhören. Leider gibt es eine verbreitete Strategie bei Eltern, Erfahrungen von Kindern runterzuspielen, was wiederum den Effekt hat, dass die Kinder gar nicht mehr zu ihren Eltern kommen, wenn ihnen was passiert. Und dann wird es praktisch unmöglich eine emotionale Distanz aufzubauen.

Was sollen Eltern konkret tun, wenn das Kind beim Spielen aufgrund der Hautfarbe oder der Religion ausgegrenzt wird?

Freunde verletzen mehr als nur Bekannte. Da ist es wichtig als Eltern mit den anderen Eltern das Thema anzusprechen und zu erklären: «Du, Dein Sohn sagt andauernd das N-Wort und mein Sohn ist total verletzt.» Oft wissen es die anderen Eltern gar nicht, und verstehen dann auch meistens, dass eine Freundschaft auf dieser Basis nicht funktionieren kann.

Man kann auch Antworten Zuhause einüben, damit das Kind nicht ausgeliefert und sprachlos ist. Meine Mutter gab mir damals den Tipp «Spaghetti-Haare» zu den Kindern zu sagen, die mich wegen meiner krausen Haare ärgern wollten. Es war simpel, aber ich hatte wenigstens nicht das Gefühl wehrlos zu sein.

Wie können Eltern selbst emotional Distanz halten, also die eigenen Rassismuserfahrungen verarbeiten?

Eltern können bei sich selbst anfangen, schauen, wo sie selbst stehen. Eine Selbstschutzhaltung hilft, gewisse Dinge nicht anzunehmen, sondern sie als Schablone zu betrachten, die für einen selbst nicht funktioniert. Eltern können auch für sich selbst Schutzräume suchen, wo sie sich mit anderen austauschen und um sich zu stärken. Und diese Stärke können sie an die Kinder weitergeben. Es ist zentral, selbst nicht mit dem Grundgefühl zu leben, ein Mensch zweiter Klasse zu sein und keine Chancen, keine Selbstwirksamkeit zu haben. Eltern können sich auch fragen: Welches Weltbild möchte ich meinem Kind vermitteln? Möchte ich meinem Kind weitergeben, dass die Welt gefährlich und ablehnend ist?

Gerade bei Themen über Diskriminierung und Rassismus laufen Eltern Gefahr, ihre Kinder zu ängstigen. Wie kann man Kindern vermitteln, dass es nicht nur Menschen mit Vorurteilen gibt?

Man sollte das Thema nur in einer Diskriminierungssituation ansprechen, also auf eine bestimmte Situation reagieren und nicht von vornherein sagen, dass alle etwas gegen einen haben. Eltern sollten diesbezüglich sehr achtsam sein. Wenn Kinder indes mit Fragen kommen, sollten Eltern diese beantworten. Sie können ihren Kindern erklären, dass es viele Menschen gibt, die nicht so denken, Gegenbeispiele aufzeigen, relativieren, zeigen wie Menschen sich mit Wertschätzung begegnen. Natürlich ist das schwierig, vor allem auch je nach Wohnort. Wo konkrete physische Gefahr da ist, müssen Eltern dem Kind selbstverständlich sagen, dass es beispielsweise diese eine Strasse meiden soll.

Es ist ganz wichtig, sich als Betroffene nicht erschlagen lassen, so dass Rassismus nur noch das Hauptthema ist. Er sollte nicht zum Zentrum, zum Grundgefühl oder zur Basis des Lebens werden. Negativität als Grundgefühl ist nie gut. Besser ist es, sich mit offenen Menschen zu umgeben, die sich ganz klar gegen Rassismus positionieren, d.h. sich ein Umfeld zu schaffen, in welchem man ein gutes Grundgefühl hat.

Noch ein letzter Abschlussgedanke?

Unterstützen und fördern Sie die Interessen und Vorbilder Ihrer Kinder, sodass sie sich damit satt mit den ablehnenden Erfahrungen identifizieren können.

Dr. Nkechi Madubuko ist Soziologin und Diversity-Trainerin (www.nkechi-madubuko.de). Sie ist ausserdem Autorin von Empowerment als Erziehungsaufgabe: Praktisches Wissen für den Umgang mit Rassismuserfahrungen (ISBN 978-3-89771-597-4)

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Hier findest Du die besprochenen Shownotes:

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Das Titelbild hat die Familienfotografin Simona Dietiker on Momoland Photo gemacht.