Gästin: Dr. Antonie Post, Ernährungswissenschaftlerin, Ernärhungsberaterin, Mutter und Autorin.
„Warum glauben wir, dass dicke Menschen ungesund seien?“ fragte ich Dr. Antonie Post in dieser Episode. Woraufhin sie mir antwortete: „Weil wir fettfeindlich sozialisiert sind und glauben, dass das Körpergewicht beliebig veränderbar ist, weil wir glauben, dass ein dicker Körper krank macht und es Deine Schuld ist, wenn Du es nicht im Griff hast. Fettfeindlichkeit hat seine Wurzeln im Rassismus und im Patriarchat. Wenn Frauen, oder weiblich gelesene Personen die ganze Zeit damit beschäftigt sind, sich klein zu machen und wenig zu essen oder gar nicht zu essen. Und dann noch in ein Korsett geschnürt werden, in dem sie nicht mehr atmen können, natürlich können sie dann die Weltherrschaft nicht an sich reissen. Sie sind ja damit beschäftigt zu überleben. So kannst Du jemanden klein halten.“ Ausserdem wollte ich von Antonie Post wissen, wie sie einem 10-jährigen Mädchen erklären würde, dass Diäten schädlich sind und wie sie es zu Hause mit ihren Söhnen und Süssigkeiten so handhabt. Frohes Hören und Lernen!
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(Im Podcast besprochene URLs und Ressourcen)
- Antonie Posts Ressourcen: https://antoniepost.de/haes-ressourcen/
- Antonie Posts Buch „Gesundheit kennt kein Gewicht“: https://www.penguinrandomhouse.de/Paperback/Gesundheit-kennt-kein-Gewicht-Das-Anti-Diaet-Buch-/Petra-Schleifer/Suedwest/e599004.rhd
- Ellens Blog: https://www.chezmamapoule.com
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Einen Auszug des Interviews nachlesen
(Dieses Interview erschien ursprünglich auf Tagesanzeiger.ch)
Dr. Antonie Post, wie alt waren Sie bei Ihrer ersten Diät?
11 Jahre. Ich kam ans Gymnasium, fing an mich mit anderen zu vergleichen, fühlte mich unwohl, brauchte mehr Selbstbewusstsein und die einzige logische Antwort war: Ich brauch jetzt eine Diät.
Heute sind Sie eine gefragte Ernährungstherapeutin, veröffentlichen gerade ein Anti-Diät-Buch. Wie kam es dazu?
Es war ein längerer Weg: Nach meiner Promotion in Lebensmitteltechnologie schrieb ich als Wissenschaftsjournalistin primär über die sogenannte ‘gesunde Ernährung’ und Diäten. Den Wendepunkt haben die Weight Watchers mitgeprägt, als sie im Jahr 2019 eine Abnehm-App für Kinder gelauncht haben. Das hat mich so wütend gemacht. Dass schon 8-Jährigen und hauptsächlich Mädchen erzählt wird: «Du bist nicht gut genug, so wie Du bist.» oder «Du musst jetzt Dein Essen kontrollieren.» Diese Wut führte dazu, dass ich mein Leben und meine Arbeit komplett umgestellt hab: All meine Artikel über ‘gesunde Ernährung’ gelöscht, all die Bilder von lauter schlanken, weissen, normschönen Frauen gelöscht, sämtliche Aufträge abgesagt und angefangen, gewichtsneutral zu arbeiten.
Warum ist die Annahme «dick ist gleich ungesund» so verbreitet?
Weil wir fettfeindlich sozialisiert sind. Wir leben in einer Gesellschaft, in der es schlanke Menschen einfacher haben. Und wir glauben, dass das Körpergewicht beliebig veränderbar ist. Fettfeindlichkeit wird leider auch von vielen Ärzt*innen propagiert und gesellschaftlich viel zu selten hinterfragt. Wir schlafen zwar alle zu wenig, wir rauchen eventuell, trinken möglicherweise übermässig Alkohol, glorifizieren Stress – alles lauter ungesunde Dinge. Die aber nicht stigmatisiert werden. Wenn ich sagen würde: «Raucher*innen haben keinen Respekt verdient!», gäbe es einen Aufschrei. Aber die Aussage «Dicke Menschen haben keinen Respekt verdient, weil die zu wenig Sport machen.» wird akzeptiert. Fettfeindlichkeit hat ihre Wurzeln im Rassismus und im Patriarchat.
Können Sie das erläutern?
Wenn Frauen, oder weiblich gelesene Personen die ganze Zeit damit beschäftigt sind, sich klein zu machen und wenig zu essen oder gar nicht zu essen, in ein Korsett geschnürt werden, in dem sie nicht mehr atmen können, natürlich können sie dann die Weltherrschaft nicht an sich reissen. Sie sind ja damit beschäftigt zu überleben. So kannst Du jemanden klein halten.
Wie können Eltern reagieren, wenn ihre Tochter plötzlich eine Diät beginnt?
Ich würde statt übers Abnehmen zu reden, eher auf den Selbstwert der Tochter schauen und sich da gerne auch Hilfe holen. Es ist auch wichtig, wie zu Hause über Körper gesprochen wird. Wenn über andere Körper gelästert wird, wenn der eigene Körper abgelehnt wird, übernehmen Kinder das. Wenn Kinder aber sehen, wie ihre Eltern versuchen – so gut es geht – Selbstfürsorge zu betreiben, wie sie ihre Bedürfnisse wahrnehmen, die Körpervielfalt feiern, dann übernehmen sie eben das. Und schliesslich: Lebensmittel nicht in «gut» und «schlecht» einteilen, keine Verbote und kein «Nachtisch erst nach dem Aufessen.» Sondern versuchen einen entspannten Umgang mit dem Essen vorzuleben.
Wie feiert man Körpervielfalt?
Indem man beispielsweise neue Sehgewohnheiten bildet. Was ich super finde, ist das Freibad in unserem Dorf: Da sind alle Körperformen vorhanden. In einer Stadt, gerade in einer Metropole, ist es ganz anders, da sieht man im Freibad mehrheitlich schlanke Körper. Hier darf man sich gerne fragen: Wo kann ich meinen Kindern Körpervielfalt zeigen?
Und was sagt man, wenn das Kind ruft: «Guck mal, dieser Mann hat einen dicken Bauch!»
Früher reagierte ich so: «Oh nein, sowas sagt man nicht!» Damit suggerierte ich, dass Dicksein etwas Schlechtes sei, etwas wofür man sich schämen muss und nicht thematisieren darf. Heute würde ich sagen: «Ja, er hat einen dicken Bauch. Es gibt dicke Körper und es gibt dünne Körper, es gibt kleine Körper und es gibt grosse Körper. So ist es eben. Und jeder Körper hat Respekt verdient.»
Haben Ihre Jungs (6 und 9) freien Zugang zu Süssigkeiten?
Wir haben eine grosse Süssigkeiten-Schublade, da können sie sich bedienen, müssen aber erst fragen. Ich erlaube es meistens, stelle ihnen aber auch immer Obst, Gemüse oder Nüsse dazu. So haben sie eine Auswahl. Oft essen sie ein Paar Gummibärchen und dann Obst. Und weil sie wissen, morgen gibt es wieder Süssigkeiten, lassen sie gerne mal auch eine halbe Kugel Eis liegen und hören «auf ihren Bauch». Wir haben auch die Regel, dass zwischen den Mahlzeiten nur Wasser getrunken wird, das aber hauptsächlich wegen der Zähne.
Machen Sie sich keine Sorgen, dass die Kinder zu viel Süsses bekommen?
Ich bin Ernährungswissenschaftlerin, natürlich möchte ich, dass meine Kinder viel Gemüse, Obst und Ballaststoffe essen. Aber was man verbietet, wird interessant. Ich erklär es ihnen so: «Du hast im Bauch verschiedene Bakterien und die feiern zusammen eine Party, wenn Du ganz viele verschiedene Sachen isst.» Dann beschreibe ich diese Party, mit den Partyhütchen und allem und biete meinen Kindern verschiedene Lebensmittel an.
Und das funktioniert?
Es gibt Tage – auch je nach Wachstumsschub – da essen sie gefühlt nur Nutella, Ketchup und Weissbrot und es gibt Tage da essen sie zehn verschiedene Sorten Gemüse. Wir fahren gut damit, den Kindern viele verschiedene Lebensmittel anzubieten und drauf zu vertrauen, dass sie das wählen, was sie gerade brauchen. Kinder sind von Natur aus intuitive Esser*innen und wissen was, wann und wie viel Essen sie brauchen. Unsere Aufgabe ist es, ihnen das nicht abzutrainieren.
Leseprobe von Dr. Posts Buch, das die Gesundheit unabhängig vom Gewicht betrachtet und zeigt, wie man Frieden mit dem Essen und dem eigenen Körper schliesst: Gesundheit kennt kein Gewicht
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