Gästin: Dr. Bärbel Wardetzki, Psychotherapeutin, Buchautorin und Coach

„Eine befriedigende Zweierbeziehung setzt eine gute Beziehung zu sich selbst voraus.“ schreibt Wardetzki in ihrem Buch ‚Weiblicher Narzissmus: Der Hunger nach Anerkennung‘ und auch: „Narzisstische Persönlichkeit hat das Pech, nie wirklich bei sich selbst angekommen zu sein.“ In dieser Episode frage ich Bärbel Wardetzki, warum wir anderen gefallen wollen und ab wann dieses Bedürfnis ungesund wird. Dabei erklärt sie, warum (weiblicher) Narzissmus auch seine gute Seiten hat und dass es in Ordnung ist, sich gerne für den Partner schön zu machen und auch, dass es in Sachen Erziehung das Wesentliche ist, die Kinder ernst zu nehmen.

 

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(Transkript des Gespräches, leicht redigiert für mehr Klarheit.)

Ellen Girod: Heute bei mir im virtuellen Tonstudio ist Bärbel Wardetzki. Sie ist Psychotherapeutin, Buchautorin und Coach. Ich freue mich unfassbar, dass Sie heute mein Gast sind, weil ich vier Ihrer Bücher gelesen habe und erschreckenderweise feststellen musste, dass ich mich sehr oft darin wiedererkenne. Ich glaube ja sehr stark an die Kraft von Büchern. Und für mich hatten die Bücher tatsächlich so etwas wie eine therapeutische Wirkung. Deshalb bin ich sehr froh, wenn wir heute ein Thema vertiefen, das mir besonders am Herzen liegt. Es geht um den weiblichen Narzissmus und um Ihr Buch „Weiblicher Narzissmus. Der Hunger nach Anerkennung.“ Vielen Dank, dass Sie da sind und herzlich willkommen.

Bärbel Wardetzki: Hallo, liebe Frau Girod. Ich freue mich sehr, mit Ihnen zu sprechen. Und vor allem freut mich auch, dass Sie sagen, dass die Bücher therapeutische Wirkung hatten. Das ist ja im Grunde ganz ungewöhnlich, denn, na klar haben sie eine Wirkung. Logisch, sonst müsste man die Bücher nicht schreiben. Aber oftmals ist es natürlich nur so ein Anstoss für etwas. Aber wenn es etwas anstösst, dann kann eine Entwicklung passieren. Und das ist natürlich super, wenn das stattfindet, da freue ich mich sehr drüber.

Ellen Girod: Ja, das war tatsächlich so, ich glaube, was ich an Ihren Büchern sehr schätze, sind die Beispiele. Und ich bin jemand, die sich selber sehr gerne beobachtet und reflektiert. Und wenn ich natürlich solche Beispiele in Ihren Büchern lese und das dann in meinem eigenen Verhalten erkenne, ist das sehr hilfreich und wertvoll. Und deshalb würde ich heute gerne diese Erfahrung meinen Hörerinnen weitergeben und bin sehr froh, dass Sie dabei meine Gästin sind. Ich würde zu Beginn gerne mit dem Begriff Narzissmus arbeiten. Also für alle Hörerinnen, die die Bücher noch nicht gelesen haben: Frau Wardetzki, was genau ist weiblicher Narzissmus?

Bärbel Wardetzki: Ja, was ist es? Ich habe dieses Konzept im Rahmen meiner psychotherapeutischen Tätigkeit in einer Klinik in den 80er Jahren entwickelt. Und zwar in der Arbeit mit essgestörten Frauen. 1980 ist ja die Diagnose Bulimie als Diagnose anerkannt worden. Und da kamen dann ganz viele Frauen in die Klinik, eben mit diesem Krankheitsbild. Es waren natürlich auch Magersüchtige und auch einige Übergewichtige da, aber sehr viele Bulimikerinnen. Und wir haben uns dann sehr intensiv überlegt, wie das Therapiekonzept aussehen kann. Und irgendwann habe ich dann gedacht, was ist es denn jetzt eigentlich? Und habe mich auf die Suche gemacht und gemerkt, dass diese Frauen auch eine narzisstische Struktur haben, die sich aber ganz anders darstellt als die von den männlichen Narzissten. Also das war ja damals so, dass Narzissmus immer mit Männern verbunden war. Also diese aufgeblasenen und sich in den Vordergrund schiebenden Männer. Und bei den Frauen ist es völlig anders. Und da war das erst mal ganz spannend, das rauszufinden. Und der Begriff ist eigentlich entstanden durch den Verlag. Es ist ja auch keine Diagnose, sondern das ist ja nur eine Beschreibung für eine bestimmte Form, wie ich mich innerlich fühle und verhalte. Und insofern ist dieser Begriff irgendwie geblieben. Aber wie gesagt, es ist kein diagnostischer Begriff. Es hat auch nichts mit einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung zu tun, sondern es ist die Beschreibung einer Art und Weise, wie man mit einem verletzten Selbstwertgefühl umgeht.

Ellen Girod: Was mir sehr stark geholfen hat, war, die Unterschiede zu verstehen. Sie haben ja in Ihrem Buch so eine schöne Auflistung; links der männliche Narzissmus und rechts der weibliche. Und ich würde jetzt kurz ein paar Beispiele aufzählen und dann können wir die vielleicht vertiefen. Also in der Beziehung ist die weibliche Narzisstin sehr aufopfernd und unterwürfig. Der männliche, also der Narziss, hingegen, würde sich nicht aufgeben in einer Beziehung. Also das ist konträr. Und was beim weiblichen auch oft vorkommt, ist diese Selbstabwertung. Man macht sich selbst klein, versucht sich zu überoptimieren, hochattraktiv zu sein, die beste Leistung zu zeigen, Perfektionismus… Das ist auch ein wichtiges Stichwort bei uns Frauen allgemein. Und beim männlichen Narzissmus schreiben Sie von dieser Grandiosität, also dass man versucht, die Schwäche zu kompensieren, indem man sich aufbläht und sich so diese Bewunderung und Anerkennung ganz stark einholt. Vielleicht kann man zusammenfassend sagen, dass der weibliche Narzissmus der ist, der gegen sich selbst gerichtet ist, also „ich bin wertlos, ich sehe blöd aus.“ Und beim männlichen ist er gegen die anderen ausgerichtet: „Ich bin überlegen, ich bin etwas Besonderes im Vergleich zu den anderen, die schlecht sind.“ Ist das in etwa korrekt?

Bärbel Wardetzki: Im Wesentlichen ist es so, ja. Ich denke, der männliche Narzissmus ist wirklich mehr gegründet in der Grandiosität. Die haben zwar auch ein Gefühl von „oh Gott, ich bin ja gar nicht so toll, wie ich mich mache.“ Aber sie haben das so abgespalten, dass sie gar nicht mehr im Kontakt damit sind. Und in der weiblichen Form ist es genau umgekehrt. Also da, wo der Mann sich grösser macht, machen die Frauen sich kleiner. Da, wo die Frau sich entwertet, idealisiert sich der Mann. Das sind beides Formen von Schutz, aber eben auf eine andere Art und Weise. Die Frauen haben auch eine Grandiosität, eben durch Attraktivität, durch Leistung, durch Perfektionismus, durch Überanpassung letztendlich. Aber sie spüren halt viel mehr ihre Nichtigkeit- oder ihre Insuffizienz-Gefühle. Damit sind sie viel mehr in Kontakt und deshalb fallen sie auch erst mal gar nicht als narzisstisch auf. Und diese Unterscheidung hat eigentlich schon Jürg Willi in den 70er Jahren getroffen. Er spricht da von Narzisst und Komplementär-Narzisst. Also das heisst, es gibt immer eine grandiose Person, die narzisstisch ist, und die findet sich immer mit einer anderen Person, die sich eben minderwertig fühlt. Und da ist ein Trick dahinter, der Grandiose kann nämlich seine Insuffizienz-Gefühle auf das Gegenüber projizieren, ist dann frei davon und das Gegenüber nimmt sie auf, hat aber auch sozusagen im Mann ein Stück Grandiosität für sich selber, denn „so ein toller Mann und der liebt mich“. Na ja, also das baut das Selbstwertgefühl auf. Insofern finden die sich miteinander und haben auch eine Zeit lang einen Ausgleich miteinander. Funktioniert auf Dauer nicht, aber am Anfang ist es sehr attraktiv.

Ellen Girod: Ich glaube, Sie haben auch dieses sehr klischeehafte Beispiel – ich bin gar nicht sicher, ob das aus Ihrem Buch ist oder sonst aus meiner Recherche – von diesem sehr erfolgreichen Manager mit seiner teuren Uhr und mit dem Luxusauto. Und dann seine Partnerin, die so modelmässig aussieht, aber vielleicht in der Ausbildung nicht auf derselben Stufe steht und auch finanziell nicht. Ist das so ein typisches Beispiel von so einem Co-Biotop, von einem narzisstischen?

Bärbel Wardetzki: Das ist natürlich ein bisschen wie so eine Überzeichnung des Ganzen. Aber was natürlich dahintersteckt ist, dass sie beide voneinander eine Selbstwertstärkung bekommen und zwar dadurch, dass sie ihn bewundert, was seinen Selbstwert natürlich erhöht, und umgekehrt sonnt sie sich im Schein dieses tollen Menschen und wird dadurch auch mehr wert in ihren Augen. Nach dem Motto “ich nehme mir nur einen Mann, der erfolgreich ist oder gut aussieht“ oder so. Es kann auch anders sein, es kann auch sein: „Ich suche mir einen Mann, der mich auf Händen trägt oder der alles für mich tut“. Es ist völlig egal, was dieser Mann sozusagen präsentieren soll. Wichtig ist, dass das für die Seele der Frau eine Erhöhung bedeutet. Von daher ist dieses Bild von Ihnen sicherlich wie eine Karikatur, aber zeichnet genau das, was diese zwei Menschen machen, die suchen ja, das ist ja eine existenzielle Suche nach Liebe und Anerkennung. Und das finden Sie dann erstmal am Anfang in sich selber, dass sie sagen „ja, endlich so eine Frau, die mich so bewundert“ und „endlich so ein Mann, den ich bewundern kann und der mir mein Selbstwertgefühl stärkt“. Das ist wirklich die Hoffnung auf die Erlösung aus dem Gefühl „ich bin nicht gut genug.“

Ellen Girod: Und Sie haben gesagt, dass das eine Weile lang gut geht, bis man dann irgendwann an den Punkt gelangt, wo man merkt, dass es eben nicht genügt, wenn diese Anerkennung nur von aussen kommt.

Bärbel Wardetzki: Ja, nicht nur das, sondern die halten das nicht durch. Also was sie am Anfang tun, am Beginn der Beziehung, ist sich idealisieren. Sie wird von ihm idealisiert als die tollste Frau auf Erden. Und er wird von ihr idealisiert als Prinz auf dem weissen Pferd. Idealisierung hat immer Entwertung zur Folge. Grundsätzlich: Je höher ich jemanden stelle, je höher der Sockel ist auf den ich jemanden stelle, umso tiefer fällt dieser Mensch, weil der Prinz eben auch ganz normale menschliche Bedürfnisse hat. Und die gefährlichsten Bedürfnisse sind, dass er eigenständig sein will. Das wiederum macht ihr Angst, denn sie braucht ja diese symbiotische Verschmelzung, diese konfluente Verschmelzung. Er soll nur sie sehen und umgekehrt, sie soll auch nur ihn sehen. Da ist von beiden Seiten ein grosser Wunsch nach Konfluenz und gleich alles gemeinsam machen wollen. Da ist es natürlich dann sehr gefährlich, wenn er sagt „nein, ich möchte ganz was anderes als du jetzt möchtest oder ich fühle es anders.“ Das heisst, es ist sehr schnell eine Enttäuschung da. Auch diese Frauen und das muss man natürlich sehen, die sind ja an sich, wenn sie nicht in einer nahen Beziehung sind, oftmals unglaublich selbstbewusst. Die können ihr Leben meistern, die sind manchmal im Job richtig klasse, übernehmen auch Führungspositionen. Und so lernt der Mann die Frau kennen. Und kaum begibt die Frau sich in emotionale Nähe, dreht es sich um und sie rutscht in diese Abhängigkeit, in diese Unterwürfigkeit, in das Gefühl „ich bin nicht gut genug“. Und jetzt ist es nicht mehr die Frau, die er kennengelernt hat. Jetzt ist er natürlich auch enttäuscht. Und diese Enttäuschung werfen sie sich dann indirekt natürlich gegenseitig vor, weil jeder hofft, „du wirst mich endlich nähren“, aber sie können es beide nicht, weil sie keine genährten Menschen sind. Und dann sind sie gegenseitig enttäuscht. Dann kann das ganze Gerangel losgehen mit Entwertung, mit Vorwürfen, mit Anpassung etc., mit Dramen ohne Ende. Und dann ist von dieser ganzen schönen Idealisierung nichts mehr übrig.

Ellen Girod: Wie kommt man da heraus? Gibt es gute Enden von solchen Beziehungen?

Bärbel Wardetzki: Ach, das Leben ist toll. Es gibt alles. Es gibt auch gute Enden. Das Problem an diesen Beziehungen ist natürlich das, dass sie emotional nicht satt werden voneinander, weil sie beide ein Bindungsproblem haben, denn das gehört zur narzisstischen Struktur dazu. Das sind Menschen, die nicht wirklich wissen, was es bedeutet, sich auf jemanden anderen einzulassen, sich anzuvertrauen, zu wissen „aha, die Person ist stabil da, die schaut auf mich, ist eine eigenständige Person, die ich nicht fressen kann, aber sie ist für mich da.“ Das ist das, was man auch als wir bezeichnen kann. Du und ich, wir bilden zusammen ein Wir. Aber in dem Wir sind wir unabhängige Menschen. Das ist genau das, was diese Personen nicht können. Die können nur zusammenschmelzen oder weit auseinandergehen. Und so ist dann auch die Beziehung. Dann gibt es immer mal wieder so High-Erlebnisse, „ach, ist ja doch so toll“ und dann wieder auseinander. Und das bindet natürlich auf Dauer. Deshalb ist die Trennung so schwer, weil immer noch die Hoffnung ist, „ach, es könnte doch wieder so werden, wie es mal war. Und es ist ja auch immer mal wieder so“. Und dann können sie sich nicht trennen voneinander. Weil dann kommt natürlich die Einsamkeit. Und wenn ich niemanden habe, der mich bestätigt, dann ist es auch nicht gut. Also egal, was sie tun, ob sie in der Nähe sind oder ob sie in die Distanz gehen, es ist nie wirklich befriedigend.

Ellen Girod: Also quasi, weil man mit diesen narzisstischen Mustern durch die Welt geht, weil man wahrscheinlich so aufgewachsen ist, sucht man sich dann auch diesen Partner aus, obwohl es einem eigentlich nicht gut tut. Aber man macht das, weil man sich einfach gewohnt ist und das macht den anderen schlussendlich auch attraktiv, weil man das bekommt.

Bärbel Wardetzki: Ja, es ist ja so, gerade durch die ersten, durch die primären Bezugspersonen kriegen wir ja eine ganz bestimmte Beziehungsstruktur vorgelebt. Also so wie diese Menschen mit uns umgehen, so entwickelt sich die sogenannte Beziehungsmatrix. Und mit der gehen wir dann später in die Welt, weil wir glauben, so ist Beziehung. Und man kann das natürlich korrigieren; durch den Kindergarten, durch die Schule, durch andere Familien, dass man merkt, „ach Gott, das geht ja auch ganz anders“, aber wenn sich diese narzisstische Thematik sehr stark ausbildet, dann ist es schon so, dass die Leute auch wahnsinnig Angst vor was anderem haben. Denn Einlassen heisst ja wieder abhängig zu werden, emotional ausgebeutet zu werden. All das will man ja vermeiden. Und trotzdem findet man immer wieder so einen Menschen, bis man irgendwann vielleicht mal sagt „nein, jetzt lasse ich‘s.“ Aber witzig ist ja oftmals, dass die Frauen dann sagen „ja, jetzt habe ich einen ganz anderen Typen gefunden, der ist völlig anders.“ Und in kürzester Zeit stellt sich dann heraus, dass die Grundlagen wieder beziehungsgestört sind. Das heisst, dass ich das ja in mir selber auch drin habe. Ich meine, ich suche mir ja nur ein einen beziehungskomplizierten oder einen bindungsunfähigen Menschen, wenn ich selber es auch nicht so richtig kann, denn sonst würde ich mir jemand anderen suchen.

Ellen Girod: Aber so gesehen ist es ja auch eine Chance, wenn zwei Narzissten zusammen sind, dass sie sagen „wir haben das jetzt bei uns erkannt und wir versuchen beide, da herauszuwachsen und das hinter uns zu lassen.“

Bärbel Wardetzki: Wenn das passiert, ist es ideal. Nur passiert das zu selten, denn solange die narzisstische Struktur noch funktioniert, solange machen wir nichts dran. Und wir wissen es auch oft nicht. Sodass es mitunter ganz, ganz schwierig ist. Und in Therapie oder in die Beratung kommen natürlich hauptsächlich die Frauen, weil die viel mehr leiden als die Männer. Die Männer haben das so abgespalten, dass sie das kompensieren können, mit Job, mit Freunden/Freundinnen etc. Und die Frauen sind eher die, die dann wirklich sagen „ich kann nicht mehr weiter, ich leide zu sehr, ich muss was verändern“. Und es ist gut, dass sie das tun, dass sie sich auf den Weg machen. Aber oftmals wird dann die Beziehung nicht weiter bestehen können, denn wenn der Mann nicht mitmacht, dann wird sich die Beziehung nicht retten lassen. Und für manche ist es sogar auch gut, weil sie lernen dann ganz viel und können dann hinterher auch noch eine andere Beziehungsstruktur oder eine andere Beziehung eingehen, die für sie sehr viel nährender und angenehmer ist. Eins möchte ich bitte noch hinzufügen: Dieses männlich-weiblich bezieht sich schon auf Frauen und Männer, aber nicht nur. Das heisst, es gibt auch Frauen, die eine narzisstische, grandiose Struktur haben und es gibt Männer, die das haben, was wir weiblichen Narzissmus nennen. Von daher wäre es vielleicht besser, man nimmt die geschlechtsneutralen Worte vom offenen Narzissmus und verdeckten Narzissmus, weil es wie gesagt auch Männer gibt, die genau dasselbe erleben und fühlen, wie es die Frauen tun. Der Begriff ist damals, Anfang der 90er Jahre entstanden, einfach so ein bisschen auch als Provokation und weil man es damals bei den Frauen nicht gesehen hat. Also von daher kann man das heute so ein bisschen verändern. Aber im Gros sind es eher die Frauen, die eben diese eher verdeckte narzisstische Struktur haben und die Männer eher die, die die grandiose Struktur haben.

Ellen Girod: Sie haben mir jetzt gerade eine Frage vorweggenommen, das wäre nämlich die nächste Frage gewesen, das mit dem Weiblichen. Das ist ja ein soziales Konstrukt, das Männliche und Weibliche. Und ich habe mich dann auch gefragt „Gibt es denn Männer, die den weiblichen Narzissmus haben?“ Das haben Sie nun schon beantwortet. Aber was ich wichtig finde für alle Hörerinnen, die jetzt zuhören und sich vielleicht erkennen; ich glaube, das ist auch der klare Vorteil von der Therapie, dass die Therapeutin oder der Therapeut einem helfen kann zu erkennen „du bist jetzt tatsächlich in einer Art sehr ungesunden Beziehung.“ Es wird ja oft von diesen „toxischen“ Beziehungen gesprochen, aber ich verwende den Begriff ein bisschen vorsichtig. Wenn man wirklich mit so einem Narzissten zusammen ist, der der Persönlichkeit schadet, kann man das in der Therapie gut bewältigen und sich auch da herauslösen.

Bärbel Wardetzki: Was ich immer mehr merke ist, dass man den Begriff „narzisstisch“ eigentlich weglassen kann. Letztendlich ist es sowas von egal. Also für den eigenen Prozess mag es erst mal gut sein, etwas zu verstehen. Wenn ich dann einen Begriff oder ein System habe, und dadurch weiss, wie man etwas benennen kann, dann kann das dafür eine Hilfe sein. Aber an sich ist es völlig egal, ob man das jetzt Narzissmus nennt oder Apfelkuchen, denn das Entscheidende ist ja, was mache ich mit mir und was mache ich mit dem anderen? Und da muss man jetzt auch aufpassen, heutzutage ist ja jedes Beziehungsdrama oder jeder unangenehme Mensch schon ein Narzisst. Also wir sind ja sehr dabei, diesen Begriff enorm auszudehnen. Der wird dann inhaltsleer. Und von daher, denke ich, ist es gut, wenn man einfach mal sagt „okay, ja, ich habe Probleme, so wie Sie es gerade beschrieben haben. Ich komme hier nicht weiter. Ich habe Probleme mit meinen Beziehungen.“ Dann kann man schauen was denn dein Anteil ist und was ist dann sozusagen das Gegenüber, was du dir suchst? Und das kann man natürlich dann, wenn es der Fall ist, als narzisstisch bezeichnen, aber es ist nicht mal nötig. Für die Überwindung der Problematik ist der Begriff gar nicht so wichtig.

Ellen Girod: Ich glaube, es ist viel mehr. Es ist so ein „catchy“ Begriff, mit dem viele gerade sehr viel anfangen können. Das kann aber auch ein guter Einstieg ins Thema sein.

Bärbel Wardetzki: Natürlich. Es kann wie gesagt zum Verständnis gut sein. Nur das alleine reicht natürlich nicht. Und es nützt auch nichts, wenn ich meinem Mann vorwerfe „du bist ein Narzisst.“ Was hast du davon? Nichts. Sondern ich muss mich hinsetzen und muss schauen, was passt zwischen uns nicht. Und narzisstisch heisst ja im Grunde nichts anderes, als den Selbstwert und die Selbstliebe betreffend. Das heisst, es sind Selbstwert-Thematiken, denen wir da begegnen. Und Menschen mit einer narzisstischen Struktur sind Menschen, die haben beide ein verletztes Selbstwertgefühl. Und die treffen sich, die treffen aufeinander und eigentlich könnten sie sich die Hand geben und sagen „ah ja, dein Schicksal ist ganz ähnlich wie meins“, weil die Schicksale der Personen sind sehr, sehr ähnlich, aber die Ausdrucksformen sind unterschiedlich. So, und dann könnte man sagen „was machen wir jetzt damit?“ Aber das geht erst, wenn ich mir diese ganzen Muster und die ganzen Dynamiken überhaupt erst mal bewusst mache und dann versuche zu verändern. Dann kann man darüber sprechen: „Wie können wir unsere Beziehung gestalten, dass es uns beiden besser geht?“

Ellen Girod: Gerade Ihre Bücher haben mir zu diesem Bewusstsein verholfen, mich selber besser zu verstehen, mich selber besser kennen zu lernen. Und ich würde jetzt gerne die Sache mit der Anerkennung mit Ihnen anschauen, diesem Hunger nach Anerkennung. Ein gewisser Wunsch nach Anerkennung ist ja auch natürlich in uns Menschen, oder?

Bärbel Wardetzki: Ja, das ist ganz normal, das brauchen wir. Wir brauchen von aussen Dinge, Menschen, die uns anerkennen, von denen wir uns verstanden fühlen, die uns gut finden, die auch mal applaudieren. Das ist ganz, ganz wichtig, denn wir alle, wir Menschen, haben letztendlich alle eine narzisstische Thematik. Wir müssen alle versuchen, unser Selbstwertgefühl immer in Balance zu halten. Und da gibt es natürlich Situationen, wo wir nicht gut angesprochen werden, wo wir verlassen werden, wo wir angeschrien werden und dann rutscht es ins Negative. Und jetzt geht es darum, sich wieder selber in die Balance zu bringen. Und deshalb brauchen wir einfach gute Beziehungen zu Menschen, wo wir wissen, die mögen mich, die sagen mir das auch. Die sagen „ du siehst aber heute gut aus“, oder „das hast du toll gemacht.“ Das ist ganz, ganz wichtig für die Seele. Der Unterschied zu diesem narzisstischen Bedürfnis nach Anerkennung ist, dass diese Menschen sich selber gar keine geben können. Die brauchen immer das Echo von aussen. Also ich kann ja lernen zu sagen „okay, jetzt geht jemand nicht gut mit mir um und dennoch bin ich ein liebenswerter Mensch und werde hinter mir stehen. Ich stärke mir selber den Rücken.“ Das können diese Menschen nicht, weil sie das nie erlebt haben, dass ihnen jemand den Rücken stärkt. Und von daher sind sie viel abhängiger von der äusseren Bestätigung als jemand, der oder die eine geringere narzisstische Ausprägung hat und sich selber immer wieder ins Gleichgewicht bringen kann.

Ellen Girod: Das Stichwort Kränkung ist ja auch bei Ihnen in den Büchern sehr, sehr stark. Und Sie haben so ein wunderbares Beispiel von dieser Fernperspektive, von einem Bücherladen. Und da liegen ganz viele Bücher auf, unter anderem auch Ihr Buch „Weiblicher Narzissmus. Der Hunger nach Anerkennung.“ Und da kommt eine Kundin und schaut sich Ihr Buch nur ganz kurz an und geht dann zu einem anderen Buch. Und da beschreiben Sie zwei Reaktionen. Jetzt könnten Sie einerseits ganz gekränkt sein und sagen „ach, ich bin nicht gut genug. Und das Cover, das der Verlag hat, so ein blödes Cover. Das Foto ist nicht ansprechend, der Titel ist total doof und überhaupt, ich bin nicht unfähig. Und dann meine Arbeit.“ Oder Sie könnten sagen, „vielleicht hat sie einfach ein Kochbuch gesucht“ oder „vielleicht muss sie jetzt auf die Toilette“. Es gibt 10‘000 andere Gründe, die nichts mit Ihnen zu tun haben. Ich fand das so ein einleuchtendes Beispiel, wie man die Dinge im Alltag oft einfach so wahnsinnig persönlich nimmt. Oder gerade auch in der Nachbarschaft: „Sie hat mich so angesehen, ist etwas mit mir oder in mir nicht gut?“ und wie man das eben lernen kann, das nicht so persönlich zu nehmen. Und ich glaube, dieses Persönlich-Nehmen, das ist ja auch so das typisch Narzisstische.

Bärbel Wardetzki: Ja klar, denn es nicht persönlich zu nehmen hiesse, ich lasse das bei der anderen Person. Das erfordert aber auch eine gewisse Selbstsicherheit in mir selber. In der Kränkung sagt ja das Gegenüber oder tut das Gegenüber genau das, was ich mir in meiner eigenen Selbstabwertung sage. Also nimmt sie das Buch nur kurz in die Hand und legt es wieder weg, dann aktiviert das in mir meine eigenen Selbstabwertungen: „Ich bin zu blöd. Ich hab’s wieder nicht gut gemacht.“ Wenn das Ruhe gibt, dann kann diese Handlung es gar nicht auslösen. Denn dann sage ich „schade, wäre schön gewesen, sie hätte es gekauft oder gejubelt. Na gut, jetzt nimmt sie ein anderes Buch.“ Das ist schade. Das ist einfach etwas, wo man sagt „ach ja, ich hätte mich gefreut, wenn es anders wäre.“ Das ist aber keine Kränkung, weil es nicht meinen Wert betrifft. Und immer, wenn wir selber sehr starke Selbstabwertungen in uns haben, sind wir natürlich viel kränkbarer. Und narzisstische Menschen haben ein verletztes Selbstwertgefühl. Die haben kein gutes Selbstwertgefühl. Gerade auch der männliche Narzisst, der wirkt ja so, als wenn das selbstbewusste Menschen wären, aber die sind sehr häufig sind die nur selbstverliebt in sich. Und wenn diese ganzen narzisstischen Stabilisatoren wegbrechen, dann bleibt nicht mehr viel übrig. Das heisst, diese Menschen sind natürlich sehr viel schneller kränkbar als jemand, der sagt „ich weiss um mein Wert und finde es bedauerlich, aber freue mich, wenn sie das Buch kauft“, wo ich das sozusagen trennen kann von mir. Und das heisst Selbstwertstärkung ist wirklich so ein Zauberwort für die Wappnung gegen Kränkungen.

Ellen Girod: Ich würde gern ganz kurz zusammenfassen: Man versucht, das fehlende Selbstvertrauen auszugleichen, indem man sich irgendwie entweder als besonders grandios darstellt, also der männliche oder der offene Narzissmus, oder dass man im weiblichen, verdeckten Narzissmus versucht, sich abzuwerten oder sich im Äusseren perfekt zu zeigen. Jetzt kann man natürlich sagen, dass wir alle ein wenig diese Tendenzen haben. Wir alle sind ein bisschen verunsichert und wollen ein bisschen besser sein als die anderen oder wollen vielleicht ein schöneres Shirt anhaben und so und bemühen uns um ein gutes Aussehen. Wie merke ich, wo auf diesem Spektrum ich stehe? Wo ist es noch „normal“? Und wo kommen diese Red Flags, diese Warnsignale, dass ich vielleicht sagen muss: “Okay, ich muss mich ein bisschen mehr mit mir beschäftigen, sei es jetzt mit einer Therapie oder Ihr Buch zu kaufen oder Ihr Coaching zu machen.“ Wann geht es in Richtung Persönlichkeitsstörung?

Bärbel Wardetzki: Na ja, der Weg dahin ist noch relativ weit, denn das Ganze ist ja so ein Kontinuum zwischen einem guten Selbstwertgefühl, also einem positiven Narzissmus, und der narzisstischen Persönlichkeitsstörung. Das ist eine relativ lange Strecke. Ich glaube, es ist ganz schwer zu sagen, was ist narzisstisch und wann ist es jetzt im Sinne vom defizitären Narzissmus. Narzisstisch ist es ja alles, weil es den Selbstwert betrifft. Aber wann ist es noch okay und wann ist es nicht mehr okay? Das ist ganz, ganz schwer zu sagen. Also es kann zum Beispiel jemand versuchen, seinen Körper zu optimieren, also rennt und isst nur gesund und turnt die ganze Zeit usw. Das alleine ist noch nicht das Kriterium für eine narzisstische Thematik. Das kann sein, dass dieser Mensch sagt „wenn ich das nicht tue, dann geht es mir körperlich ganz, ganz schlecht. Ich muss das tun, damit ich überhaupt einigermassen in der Kraft bleibe, vielleicht aus Krankheitsgründen oder sonst irgendwelchen anderen Gründen.“ Und ein anderer, für den ist es möglicherweise eine Stabilisierung des Selbstwertes. Da wird es dann zu einer narzisstischen Thematik. Das wird man immer dann erkennen: „Wie geht es mir, wenn ich das nicht mehr tue? Also, wenn ich mich nicht mehr schminke, wenn ich jetzt nicht die teuersten Klamotten anhabe, wenn ich jetzt zum Beispiel einen Erfolg nicht erringe, sondern vielleicht sogar ein Versagen erringe, was passiert dann mit mir?“ Da wird man das dran merken. Bin ich dann total am Boden zerstört, gehe ich nicht mal mehr zum Bäcker, weil ich sage, ich kann nicht ungeschminkt zum Bäcker gehen? Das, würde ich sagen, wäre so eine Art, wo man sagt „na ja.“ Das heisst, wenn es Leid schafft, in dem Moment, wo wir anfangen zu leiden, dann ist es an der Zeit, etwas dagegen zu tun. Solange es für uns kein Leid ist, haben wir gar keine Notwendigkeit, etwas daran zu verändern. Die anderen finden es vielleicht blöd, die anderen leiden unter uns. Das kann gut sein. Aber in dem Moment, wo ich nicht leide… Ich kann ja auch sagen „ich bin mit meinem Narzissmus dermassen im Reinen“, dass ich sage „Mensch, hätte ich den nicht…“ Und das ist ja so. Narzissmus, den brauchen wir ja auch, damit wir nicht irgendwo in der Ecke sitzen und einschlafen, sondern dass wir sagen: „Da möchte ich hin. Das Ziel, das möchte ich anstreben.“ Oder: „Ich möchte einfach ein bisschen attraktiver aussehen, denn dann gucke ich in den Spiegel und freue mich über mich“. Das ist völlig normal, total normal. Ja, und dann kann ich sagen, ich bin froh, dass ich die Struktur habe. Lieber das als vielleicht eine schwere Depression. Also da finde ich den Narzissmus sehr viel attraktiver, weil der lebendig ist und weil der mich auch weiterbringt. Also es ist eine tolle Form, um mit Selbstwertverletzungen umzugehen. Nur wie gesagt, die Extreme sind halt immer dann das Problem. Also wenn ich zum Beispiel jemandem was erzählen will und komme gar nicht damit durch, weil die Person sofort nur von sich erzählt, dann wird es natürlich unangenehm. Und dann könnte ich sagen „ sag mal, hast du überhaupt Interesse, mir zuzuhören?“ Dazu brauche ich aber wieder Selbstvertrauen, dass ich mich so positioniere. Das heisst also, oftmals ist es so, dass die narzisstische Struktur für die betroffenen Personen gar kein Problem bedeutet, aber für die Umwelt. Und dann muss die Umwelt halt etwas tun. Dann müssen die in Gang kommen und müssen sagen „du nein, wenn du so bist, danke schön, kein Interesse.“ Und das ist oftmals gerade auch für grandios narzisstische Menschen, die eben so weit weg sind vom Leid, dann oftmals der Anlass, etwas zu tun. Denn wenn die Frau sagt „du, jetzt habe ich die Nase voll, ich verlasse dich“, dann kann dieser Mensch vielleicht in so eine Krise geraten, dass er sagt „jetzt muss ich was tun, jetzt, jetzt wird es gefährlich, denn sie ist nicht die einzige die mir das sagt, sondern andere haben sich auch schon abgewendet“ und dann kommt das Leid und dann kann man auch etwas dagegen unternehmen.

Ellen Girod: Ja, ich finde das gar nicht so einfach. Sie haben ja dieses Beispiel mit dem Sich-Schminken und ich denke gerade aus meiner feministischen Perspektive an den „male gaze“, diesen männlichen Blick, der uns Frauen bewertet. Dann versuchen wir uns eigentlich immer so herauszuputzen, dass die Männer uns attraktiv finden. Das ist ja in vielen von uns sehr stark verankert. Und ich frage mich sehr oft „mache ich das jetzt für den male gaze?“ Denn ich schminke mich gerne, ich mag es auch, gut auszusehen. Ich habe das sehr lange vernachlässigt, als meine Kinder ganz klein waren. Und dann habe ich gemerkt, das ist für mich eine Form von Selbstfürsorge. Das hat meine Schwester mal am Telefon so schön gesagt: „Das machst das für dich. Du willst dich gut und frisch fühlen.“ Und das ist nun mal so, Kleider machen Menschen, man fühlt sich anders, man fühlt sich selbstbewusster. Aber auch da frage ich mich dann: „Mache ich das wirklich für mich? Oder weil ich eben so sozialisiert wurde, dass ich nur etwas wert bin, wenn ich als Frau möglichst gut aussehe?“ Und ich finde das gar nicht so einfach. Auch beim Beispiel Instagram; ich bin ja oft auf Instagram und das ganze Geschäftsmodell dort ist ja auf Anerkennung aufgebaut, like, don’t like, wie viele Fans hast du? Wie viele tausende? Wie stehen Sie dieser Social Media- und Like-Kultur gegenüber? Haben Sie das Gefühl, sie fördert solche narzisstische Störungen in unserer Gesellschaft?

Bärbel Wardetzki: Eine narzisstische Störung kann das nicht fördern, sondern es ist halt ein narzisstisches Darstellen darauf. Aber ob das jetzt nun die Störung fördert, weiss ich nicht. Was es natürlich schon ist, dass der Blick von aussen sehr viel wertender ist, als wenn ich zum Beispiel eben nur zum Bäcker gehe und ungeschminkt meine Semmeln kaufe. Das sieht vielleicht überhaupt keiner, aber hier geht es ja darum, mich zu präsentieren, um ein positives Feedback zu kriegen. Ich meine, das haben wir immer gemacht, auch vor Social Media gab es das. Nur jetzt hat es halt eine andere Struktur und eben eine viel grössere Verbreiterung. Was natürlich das Problem ist, ist, dass Leute, die ein schlechtes Selbstwertgefühl haben, in diesen Medien natürlich nicht wirklich anerkannt werden. Wenn es nur um diese Schiene geht, wer ist besser als der andere, dann ist es nicht nährend für die Seele, sondern dann kann ich eventuell meine negativen Gefühle, die ich zu mir habe, noch unterstützen, weil ich sage “ich sehe nicht so aus wie die Frauen dort.“ Aber ich sage früher, also das war ja vorher vor Instagram, gab es eben auch Frauenzeitschriften. Ich kenne das auch. Ich habe die aufgeschlagen und gedacht „oh, wie viel Kilo müsste ich abnehmen, dass ich in diese Klamotten komme?“ Ja, das ist auch ganz normal. Ich meine, wir vergleichen uns alle und ich denke, wir dürfen jetzt nicht strenger werden als nötig, sondern sagen „auch wenn ich mich für jemanden schön mache, das ist doch völlig in Ordnung.“ Also zumindest macht man es für sich selber, aber auch für die anderen. Schlimm ist, wenn ich permanent schauen muss, ob ich schon wieder ein Like habe, damit ich mich gut fühle. Also das ist nicht gut, wenn es so eine existenzielle Dimension bekommt, nach dem Motto „wenn ich keine 100‘000 Likes habe, dann bin ich ein Versager, dann kann ich mich umbringen.“ Dann wird es natürlich problematisch. Aber ich meine, ich geniesse auch Applaus, wenn ich ihn kriege. Und ich finde das auch wunderbar, wenn die Leute mir sagen, dass ich gute Arbeit mache oder so wie Sie, dass Sie sagen, es hat ihnen auch geholfen. Das freut mich unglaublich. Das ist ja auch eine narzisstische Zufuhr, die ich kriege. Aber deshalb bin ich nicht besser als andere. Das ist, glaube ich, der Unterschied. Also ich kann es nehmen und mich freuen und kann sagen „klasse“, aber muss deshalb nicht so tun, als wenn ich jetzt nun die Grösste und die Tollste wäre. Ja, also das ist, glaube ich, der Unterschied zum Narzissmus, dass ich es brauche, dass ich es nötig brauche. Und wenn es nicht kommt, dass ich mich dann ganz furchtbar fühle. Da sind die Übergänge wirklich ganz, ganz fliessend. Und wichtig ist auch zu sagen „okay, ich mach mich auch gerne schön für einen Mann.“ Und was natürlich schon wichtig ist, dass Frauen, die so eine narzisstische Struktur ausbilden, sehr häufig den liebenden Blick des Vaters nicht hatten und den dann auch später suchen. Und das ist völlig legitim. Denn manche Väter haben entweder lüstern geguckt und ausgebeutet oder gar nicht geguckt oder zu spät, dass sie irgendwann sagen „ach Gott, ich habe ja eine Tochter, ach, die ist ja gar nicht mal so schlecht.“ Aber da ist die Tochter vielleicht schon acht oder neun. Das, glaube ich, ist ein wichtiger Punkt. Dieser liebende Blick des Vaters, der dann später im Mann gesucht wird. Ist doch auch legitim, oder? Und dann kann ich nur sagen „okay, gut, mein Mann wird mich nie so angucken wie mein Vater.“ Also kann ich mir mal die Geschichte mit meinem Vater angucken und vielleicht habe ich sogar die Chance, ihn als alten Mann darauf anzusprechen und zu sagen “jetzt, gib mir mal das, was ich früher nicht gekriegt habe.“ Kann man ja auch. Also wichtig ist, glaube ich, dass man nicht zu streng mit sich ist und sagt „oh, das könnte jetzt narzisstisch sein“… Ja why, so what, wenn es Spass macht: machen!

Ellen Girod: Stichwort liebender Blick des Vaters oder auch der Mutter. Ich habe zwei kleine Mädchen und überlege mir auch: Wie können wir Eltern dafür sorgen, dass wir keine Narzissten heranziehen?

Bärbel Wardetzki: Das können Sie sowieso nicht.

Ellen Girod: Warum nicht?

Bärbel Wardetzki: Na, weil das gar nicht geht. Das wäre ja furchtbar, wenn wir Kinder nach einem bestimmten Motto erziehen könnten, dass es irgendwann irgendwie rauskommt. Es sagen ja viele Eltern z.B. „ich habe Fehler gemacht. Jetzt hat meine Tochter eine Essstörung…“ Ja, das geht nicht. Das ist grandios. Das ist eine Form von Grandiosität. Was Sie machen können, Sie können Ihr Kind schädigen. Ja, das stimmt. Aber was das Kind dann daraus macht, das ist die Entscheidung des Kindes. Natürlich ist es so, wenn das Kind in einem narzisstischen System aufwächst, nach dem Motto „unsere Familie ist sowieso besser als alle anderen“, dann wird es da natürlich etwas mitkriegen, dass man etwas Besseres ist, dass man sich aufwerten kann. Wenn das so ist, dann kriegt das Kind das halt mit. Und dann muss es das irgendwann in seinem Leben mal verarbeiten. Ich glaube, das Wesentliche ist, dass man die Kinder ernst nimmt und dass man sie so spiegelt, dass sie das Gefühl haben, sie sind in einer guten Welt. Mehr kann man im Grunde gar nicht machen. Man kann ihnen Schutz geben, man kann ihnen Unterstützung geben und man muss ihnen Grenzen geben. Ich glaube, das ist auch ganz wichtig. Viele Kinder heutzutage sind so überfordert, weil sie schon in so einem jungen Alter so wahnsinnige Entscheidungen treffen müssen, weil die Eltern meinen, das sei jetzt gut. Das, glaube ich, ist auch nicht gut, denn das ist nämlich die andere Seite der Entwicklung des Narzissmus. Auf der einen Seite sind die Kinder sozusagen vernachlässigt emotional, sie sind alleine gelassen oder sie müssen so sein, wie die Eltern sie brauchen, nach dem Motto „Kind, also, für meine narzisstische Struktur brauche ich dich so und so und wenn du nicht so bist, dann ist das eine grosse Enttäuschung und dann will ich dich nicht.“ Also Kinder passen sich an, oder aber sie werden dermassen überhöht, dass sie wirklich eine Grandiosität ausbilden. Also sie malen irgendwie ein Bild und dann heisst es „ach, du wirst mir mal ein zweiter Picasso werden“. Und oftmals schwankt es zwischen beidem. Also auf der einen Seite bist du das super Kind und auf der anderen Seite bist du der letzte Loser. Ja, das passiert sehr häufig und dann ist es für das Kind natürlich schwer rauszufinden „wer bin ich denn jetzt nun wirklich?“ Das heisst also, man sollte die Extreme vermeiden, man kann ein Kind lieben, aber man muss es auch immer ein Stückchen loslassen. Aber man muss da sein für das Kind. Und man muss dem Kind auch sagen „halt, hier wird es gefährlich, jetzt geht’s hier nicht weiter.“ Also ich glaube, es ist auch wichtig, dass man die Mutter-Funktion und die Eltern-Funktion auch wirklich erkennt und sagt „du bist das Kind und deshalb entscheide ich vieles, weil ich es besser weiss.“ Das ist für ein Kind unglaublich hilfreich. Also auch wenn sie sich aufregen, die Kinder. Das müssen sie lernen. Das ist Frustrationstoleranz. Das ist mitunter schwer und schwierig. Aber ich beobachte ja oftmals die jungen Mütter mit ihren Kindern im Einkaufsladen. Und dann denke ich mir immer: „Oh Gott, die Armen, die arme Mutter und das arme Kind“. Die machen sich‘s so schwer.

Ellen Girod: Ja, wobei ich glaube, der Einkaufsladen ist immer noch ein Spezial-Beispiel, denn da sind Eltern noch viel stärker unter Druck. Aber ja, ich glaube das Thema „den Kindern nein sagen“ und allgemein nein sagen können, da könnten wir wahrscheinlich eine Episode dazu machen. Wie wir als Frauen auch nein sagen können.

Bärbel Wardetzki: Ja. Und aber zum Kind JA sagen: „So wie du bist, Kind, auch wenn du nicht so bist, wie ich dich haben will. Aber ich sage JA zu dir“. Und ich muss eben auch bestimmte Grenzen setzen, denn das gibt dem Kind Halt. Denn Kinder können vieles noch nicht. Und dann ist es doch toll, wenn man als Mutter das macht; aber auch nicht zu sehr eingreifen. Auf dem Spielplatz sah ich letzthin Folgendes: So ein kleines Kerlchen wollte unbedingt auf etwas draufsteigen und es ging nicht und er hat dann nochmal probiert und nochmal und da habe ich innerlich gedacht: „Was würde ich als Mutter machen?“ Ich würde wahrscheinlich hingehen und meinem Kind helfen. Aber nein, es ist keiner gekommen. Beim vierten Mal hat er es geschafft. Wunderbar, herrlich. Wenn es für das Kind nicht gefährlich ist. Das ist doch wunderbar! Das gibt Selbstwirksamkeit: Zu merken, ich strenge mich an und ich schaff das. Also dem Kind auch nicht alles wegnehmen und sagen „ich kann es besser als du“, denn das ist für ein Kind auch nicht gut. Ja, da gibt es schon so ein paar Regeln, aber man kann keine Narzissten erziehen in meinen Augen.

Ellen Girod: Nein, das habe ich nicht so gemeint. Ich habe eher gemeint, wie kann man den Schaden minimieren? Und ein Thema ist, das mich auch beschäftigt, ist dieser Leistungsdruck, unser Schulsystem und die Noten. Ich meine dieses Wort „ungenügend“, das wird einem ja als Kind ständig um die Ohren geschlagen, dass wenn die Note nicht so oder so ist, dann bist du ungenügend. Wie kann man hier als Eltern das Selbstvertrauen des Kindes aufbauen, auch wenn die Noten vielleicht als ungenügend bezeichnet werden?

Bärbel Wardetzki: Ich denke, man kann zumindest akzeptieren, dass das Kind in manchen Fächern einfach nicht so gut ist. Dann kann man mit dem Kind zusammen schauen, wie wollen wir das machen? Also entweder eine Nachhilfe geben oder aber sagen „ tja, vielleicht ist die Schulform nicht das Richtige“, oder zu sagen „du, ich traue dir das zu, dass du das verändern kannst, dann musst du halt ein bisschen mehr lernen.“ Oder „können wir zusammen lernen?“ Aber wichtig ist, dass das Kind nicht das Gefühl hat, es ist als Person schlecht, nur weil es schlechte Noten hat. Das ist mitunter natürlich sehr schwer auseinanderzuhalten. Oder aber, dass man auch dem Kind sagt „du bist so ein cleveres Kerlchen, ich sehe das überhaupt nicht ein, dass du da dermassen versagst. Liegt es vielleicht an der Lehrerin oder an wem liegt es denn?“ Ja, ich meine das Schulsystem selber, das macht ja unsere Kinder mitunter völlig krank. Ich halte von unserem Schulsystem leider nichts, denn als ich in die Schule gegangen bin – und das ist ja schon mal ein paar Monate her –  damals hiess es schon immer, das Schulsystem ist schrecklich und es hat sich bis heute nicht verändert. Und da muss man die Kinder auch unterstützen und ihnen sagen „ja, es ist frustrierend“ und es gibt wirklich ganz schlechte Lehrer. Es gibt auch wunderbare Lehrer und viele Schulen machen auch Neues und das ist gut. Aber den Frust müssen sie halt aushalten. Unser Leben besteht nun mal auch aus diesem Frust.

Ellen Girod: Ich persönlich versuche dann auch bei mir zu arbeiten und auch mein eigenes Selbstwertgefühl anzusehen und einfach mit gutem Beispiel voranzugehen. Denn mir hat es auch sehr geholfen, meine Kindheit zu analysieren und die Frauen, die um mich herum waren. Zu schauen, wie haben die Frauen sich in ihrem Leben bewegt? Wie selbstbewusst waren sie, wie gut konnten sie nein sagen? Wie gut kannten sie ihre eigenen Bedürfnisse? Und konnte ich das von diesen Frauen abschauen? Das ist so ein bisschen mein Weg als Mutter, denn ich versuche vor allem bei mir anzufangen und einfach mit gutem Beispiel voranzugehen. Um hier anzuknüpfen, ich würde gerne über diese alles ausfüllende Wärme sprechen, die Sie auf der ersten Seite Ihres Buches beschreiben. Also dieses „schöne, runde, zufriedene, glückliche Gefühl in mir, von dem ich ahne, dass es das Leben ist.“ Das haben Sie so wunderschön beschrieben. Denn ich denke, es ist ja so eine Leere, die man hat als Narzisst hat, diese Leere und diese mangelnde Selbstliebe. Wie komme ich zu diesem Pendant, zu dieser selbsterfüllenden, glücklichen Wärme?

Bärbel Wardetzki: Ja, wie geht das? Da gibt es wahrscheinlich viele Wege. Ich kann nur allen sagen, dass es im Alter leichter wird. Der Wunsch, die innere Leere zu füllen mit äusseren Gütern und mit Erfolg und Familie aufbauen und Haus bauen etc. ist meiner Meinung nach eine ganz normale Entwicklungszeit und irgendwann geht dann die Richtung mehr in die Innerlichkeit. Aber ich muss natürlich vieles auch erst mal schaffen. Ich muss mir ja eine Basis schaffen, auf der ich mich dann irgendwann sozusagen niederlasse und sage „so, jetzt bin ich in mir“. Und da sind die Menschen natürlich auch ganz unterschiedlich. Die einen suchen es früher, die anderen später. Ich meine, die neue Generation macht es ganz anders als wir. Die haben diese Work-Life-Balance und sagen „also mir ist mein eigenes Wohlbefinden wichtiger als eine Karriere.“ Vielleicht machen sie da vieles richtiger, als wir gemacht haben. Es ist gut möglich. Hinterher weiss man es immer besser. Auf jeden Fall ist es eine Gegenreaktion zu dem, was wir bisher gemacht haben. Und jetzt werden wir sowieso wirtschaftlich so eingeschränkt, dass uns gar nichts anderes übrig bleibt, als dass wir runterfahren und abrüsten. Das ist auch klar. Da gibt es glaube ich keinen Weg. Also das ist für jeden anders. Für den einen sind es Selbsterfahrungsräume oder therapeutische Räume oder meditative Räume oder die Natur oder ein Hobby oder eine erfüllende Beziehung, was auch immer. Zumindest ist es gut, wenn man mal bei sich selber guckt „was brauche ich denn wirklich? Was ist jetzt wirklich wichtig für mich?“ Und es ist mitunter nicht so einfach. Ich merke das bei mir auch immer wieder. Also wo ich so merke „soll ich jetzt der Verführung anheim gehen? Jetzt wieder noch mal ein Auftrag oder sage ich nein, ich lehne mich zurück?“ Das ist nicht einfach. Also das merke ich an mir selber. Und dann muss ich da ganz schön schnaufen, wenn ich mal absage und sage „nein, mach ich nicht“ und denke „oh, jetzt machst du irgendwie Fehler oder so“. Aber das ist auch wichtig, dann mal solche Situationen zu haben und zu merken „ach ja, guck mal an, das ist schon so eine Verführung, die da kommt.“ Und deshalb, glaube ich, wird es, je älter man wird, umso leichter, von vielen Dingen auch mal Abstand zu nehmen und zu sagen „so, jetzt kümmere ich mich nur um mich.“ Und gerade wenn man Kinder hat, da ist es schwer. Aber ich meine, über Kinder kann man ja auch die Selbstliebe sehr stärken, da bin ich ziemlich sicher. Denn es gibt ja keinen Menschen, der einen so bedingungslos liebt wie die Kinder. Auch wenn man Fehler macht, auch wenn man die Kinder schlecht behandelt, sie lieben einen trotzdem und das ist natürlich auch ein riesen Geschenk.

Ellen Girod: Ja, das sind sehr gute Aussichten. Und ich muss sagen, ich gehe jetzt gegen die 40, ich bin 38, und ich merke diese Gelassenheit jetzt schon, gerade mit der Reflexion, mit dem Mutterwerden. Vieles wird einem dann einfach so wunderbar egal. Und vor allem auch, was die anderen von einem denken. Das ist so ein wichtiger Punkt, dass uns die Meinung von anderen eigentlich völlig egal sein müsste. Ich würde gerne noch ganz kurz zur Anerkennung zurückkommen. Sie beschreiben ja diese narzisstische Patientin, die in der Therapie ganz stark versucht, dem Therapeuten zu gefallen und alles richtig und perfekt zu machen. Was ist da die Antwort? Muss diese Frau lernen, sich selber diese Anerkennung zu geben, statt sie immer draussen zu holen?

Bärbel Wardetzki: Na ja, die Frage ist ja, ob Beziehung nur was damit zu tun hat, dass ich Anerkennung kriege, sondern Beziehung ist ja ganz etwas anderes, auch die therapeutische Beziehung. Da geht es ja eigentlich nicht um Anerkennung, sondern da geht es ja darum, wie beziehe ich mich auf einen anderen Menschen, und was können wir miteinander tun und wo sind die Grenzen und was sind die Vorteile? Also dass man mal eine andere Kategorie mit hinzunimmt als nur die Anerkennung, denn das ist ja nur ein Teil in einer Beziehung und alles andere fällt ja dann letztendlich hinten runter, zum Beispiel die Neugier auf einen anderen Menschen oder auch die Neugier des anderen zu mir zu spüren. Das hat ja mit Anerkennung erst mal nichts zu tun, sondern dass da zwei Menschen aufeinandertreffen und ich dem anderen zuhöre und möchte, dass mir zugehört wird und dass man sich austauscht, dass man sieht, dass der andere eine ganz andere Meinung hat etc. Beharre ich dann auf meiner Meinung, weil ich sage „nur meine Meinung ist richtig“ oder aber kann ich mir das andere anhören? All diese Dinge, die kommen ja in die Beziehung mit hinein. Und Anerkennung ist nur eine einzige Dimension von vielen anderen. Und da kann ich immer selber mal schauen, welche anderen Dimensionen würden mich denn jetzt mal locken? Wie kann ich das erweitern?

Ellen Girod: Für alle Frauen, die jetzt zugehört haben, vielleicht auch für Männer, die merken, ich habe tatsächlich krasse narzisstische Störungen oder Züge in mir. Was wäre da der erste Tipp, den Sie da geben würden, wenn man sich da auf den Weg macht?

Bärbel Wardetzki: Ja, also auf jeden Fall, sich freundlich damit zu umarmen und zu sagen „ach ja, das kenne ich auch bei mir.“ Also sich nicht zu entwerten oder sich jetzt niederzumachen, sondern zu sagen „aha, da ist anscheinend was bei mir. Und vielleicht spüre ich das auch schon und merke, da wäre Hilfe und Unterstützung nötig.“ Und sich dann umzusehen nach einer therapeutischen Begleitung und zu schauen „was möchte ich denn verändern, wo möchte ich denn hin? Was soll denn anders werden?“ Und das ist ein spannender Prozess. Also Therapie ist einfach etwas Tolles. Fritz Pearls, der Gründer der Gestalttherapie, hat mal gesagt „Die Therapie ist viel zu schade, als sie nur den Kranken zu überlassen.“ Denn es ist ein Selbsterfahrungs-, ein Selbstentwicklungsprozess. Und Selbstentwicklung ist immer etwas, das spannend ist. Natürlich begegnet man da sehr vielen Geistern, klar, aber wenn man diesen begegnet, wissen wir ja, dass sie dann ihre Kraft etwas verlieren, in dem wir sie sehen und sagen: „Ah, du bist mein Geist! Na wie schön.“ So schauen wir mal, wie wir damit umgehen können. Auf jeden Fall, wie gesagt, sich damit zu akzeptieren, zu sagen „okay, da habe ich solche Dinge drauf“, aber auch zu schauen, was ist denn auch das Positive daran? Narzissmus ist wie gesagt nicht nur schlecht, Narzissmus hat auch ganz viele positive Seiten. Weil ich neugierig bin, weil ich Visionen habe, weil ich Mut habe, weil ich vorausgehe, weil ich etwas machen will, weil ich Ziele habe. Sind alles tolle Sachen.

Ellen Girod: Ja, es gibt ja so zwischen Therapie auch ganz viele andere Formen wie Coachings oder Ihren Kurs, den Sie anbieten. Oder eben einfach ein Buch wirklich in Ruhe gut lesen und sich mit jemandem darüber auszutauschen…

Bärbel Wardetzki: Oder auch Seminare. Es gibt ja sehr viele Wochenend-Seminare heutzutage oder eben Online-Seminare. Das ist auch etwas Tolles. Dann kann ich wann immer ich will da reinklicken, kann wieder irgendwie eine Arbeit machen, Kapitel anhören oder so. Es gibt ganz viele Möglichkeiten.

Ellen Girod: Das werden wir auch sehr gerne verlinken in den Shownotes, damit sich die Hörerinnen auch da zu Ihren Ressourcen durchklicken können. Sie haben ja vorhin netterweise den Namen meines Podcasts aufgenommen, mit dieser Selbstumarmung, dieser Selbstfürsorge. Ich hätte noch ganz viele Fragen. Vielleicht machen wir einfach mal eine Episode zum Thema „Selbstwert aufbauen“, denn da habe ich sicher gefühlt noch zehn Fragen dazu. Ich würde aber zum Schluss gern noch eine Frage zur Selbstumarmung stellen. Haben Sie ein Selbstfürsorge-Ritual? Es muss jetzt nicht so das klassische sein, es kann auch ganz etwas anderes sein, etwas, das Sie so zur Inspiration mit unseren Hörerinnen und Hörern teilen würden. Wie umarmen Sie sich selbst?

Bärbel Wardetzki: Wie ich Selbstfürsorge für mich mache? Also sehr häufig, nicht jeden Morgen, aber sehr häufig sage ich mir Guten Morgen, wenn ich mich im Spiegel anschaue. Und ich versuche wirklich, mich mit Dingen zu umgeben, die mir gut tun. Also ich habe zum Beispiel, kaum dass der Winter völlig vorbei war, meine Töpfe bepflanzt mit schönen Blumen. Das ist zum Beispiel etwas ganz Wichtiges für mich. Und auch gute Menschen um mich zu spüren. Das ist, denke ich, auch selbstfürsorglich. Es gibt auch Ecken, da bin ich nicht so selbstfürsorglich, das ist nun mal so, aber ich versuche schon, es mir auch so gut zu machen und Stress zu vermeiden. Also das ist auch etwas, was für mich ganz, ganz wichtig ist und ich habe jetzt auch angefangen, meditative Übungen zu machen, um so das innere Niveau sozusagen ein bisschen runter zu holen und gelassener und angstfreier zu werden. Und das tut mir ausgesprochen gut. Oder auch schöne Musik, das ist für mich auch ganz wichtig.

Ellen Girod: Wunderbare Impulse und eigentlich so simpel, würde man meinen. Und doch gehen sie im Alltag oft vergessen. Und ich glaube, ich kann mich da sehr gut damit identifizieren. Mit Blumen und guten Menschen. Da fühle ich mich auch sehr zu Hause.

Liebe Frau Wardetzki, vielen Dank für Ihre Zeit, für Ihre Arbeit und ich wünsche Ihnen alles Gute. Dankeschön.

Bärbel Wardetzki: Danke, das wünsche ich Ihnen auch. Und ich wünsche auch allen Zuhörerinnen und Zuhörern alles Gute! Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. Auch vielen Dank für die Einladung. Und ja, geniessen Sie Ihren Narzissmus und Ihr Leben.