Gast: Daniel Bröckerhoff, Moderator und Vater einer autistischen Tochter

Gemeinsam mit seiner Frau Annika Bröckerhoff (@mamabroe) gewährt Daniel (@papabroe) einen Einblick ins Familienleben mit behinderten Kindern. Für mich ist Daniel sowas wie die Antithese zur Toxic Masculinity. Also dieses veraltete Männlichkeitsbild, des harten, gefühllosen Kerls, der uns allen den Sturz des Patriarchats so schwer macht. Darum wollte ich von Daniel wissen, wie sie zu Hause die Fürsorgearbeit aufteilen („Das Ziel ist 50/50, wobei ein Grossteil ist schon noch bei meiner Frau“) und wie sie nebst all der Erschöpfung zu Gesprächen kommen («Wir versuchen jeden Abend, eine Stunde für uns zu nehmen»).

Irgendwann tappte ich selber in ein toxisches Fettnäpfchen, als ich zu Daniel sagte, wie stark ich Annika und ihn bewundere und wie belanglos mir meine eigene Erschöpfung erscheint, wenn ich in ihr Leben mit behinderten Kindern reinblicke. Da erinnerte mich Daniel an das, was ich als Autorin aber auch Mutter meinen Kindern oft predige: Sich mit anderen zu vergleichen, bringt einfach nichts. Und ich merkte auch, dass dieses „Ich bewundere euch“ von Nicht-Betroffenen in diesem Kontext nicht wirklich auf Augenhöhe ist. Denn es gibt nichts zu bewundern bei Eltern von behinderten Kindern. Sie tun einfach, was sie tun müssen.

Wir sprachen auch darüber, wie Nachbarn helfen können («Mit ganz kleinen Dingen anfangen») und warum Hilfe holen und annehmen, etwas vom Wichtigsten sei und gleichzeitig etwas vom Schwierigsten. Wir sprachen vom Trend ‘den Therapeuten ganz nebenbei in einem Gespräch zu erwähnen’ und wie Daniel zu seinem Therapeuten fand (Annika besuchte seinen Vortrag) und wie dieser ihm sein wichtigstes Selbstfürsorge-Mantra beigebracht hat («Fühl die Scheisse. Fühl sie!»). Und als ich Daniel nach der Aufnahme fragte, ob ich die Sequenz, in der er geweint hat, rausschneiden soll, überlegte er kurz und sagte dann: «Nein, lass sie drin.» Das Bild der toxischen Männlichkeit soll schliesslich zerschlagen werden.

***Dieser Podcast ist werbefrei. Heutige Episode wurde ermöglicht dank unseren freiwilligen Unterstützer*innen. Wenn auch Du meine Arbeit unterstützen willst: https://login.chezmamapoule.com/abo Vielen Dank!***

Impressum: https://chezmamapoule.com/about/impressum/

Interview mit Daniel Bröckerhoff anhören

Du findest dieses Interview ausserdem auf SpotifyApple PodcastsGoogle PodcastsDeezer sowie Podigee.

Interview mit Daniel Bröckerhoff lesen 

(Ausschnitt, zuerst erschienen hier: Mamablog des Tages-Anzeigers)

Deine Partnerin Annika Bröckerhoff und Du berichtet recht offen auf Instagram über das Familienleben mit euren behinderten Kindern – warum macht ihr das?
Ich habe festgestellt, dass die breite Öffentlichkeit sehr wenig Berührung hat mit Autismus und da noch viel Unwissen herrscht und viele Vorurteile. Und ich möchte mit meiner Arbeit aufklären und zeigen, wie unser Leben mit einer autistischen Tochter so läuft. Es ist schon anders als ein Leben mit einem neurotypischen Kind. Der zweite Grund: Instagram gibt mir oft das Gefühl, nicht allein zu sein. Denn man fühlt sich häufig alleingelassen: Von der Gesellschaft, von den Bürokraten, die darüber entscheiden, welchen Pflegegrad unser Kind hat und ob wir Hilfe bekommen oder nicht. Oder ob unsere Kinder in Einrichtungen aufgenommen werden. Da ist Vernetzung mit anderen Eltern und Angehörigen wichtig.

Welchen Content zeigt ihr nicht?
Es gibt auf Instagram auch den Hashtag #wasihrnichtseht. Da versuchen betroffene Familien bewusst auch ein bisschen mehr von den unangenehmen Dingen zu zeigen. Wir zeigen aber nicht die Meltdowns unserer Tochter, wie schlecht es ihr geht und wie schlecht es uns geht. Wie wir rumbrüllen und uns gegenseitig anschreien. Und wie hilflos wir manchmal sind.

Als Followerin spüre ich eure Wut und Frust selten. Ich finde vielmehr, dass euer Content stark empowernd ist und auf Augenhöhe. Und das, obwohl wir gleichzeitig oft mitbekommen, wie krass ihr am Limit seid.
Und teilweise auch sehr gut über das Limit. Wir wollen aber die Gesellschaft nicht mit dem Baseballschläger verprügeln, weil sie uns nicht genug sieht und unterstützt. Als Journalist weiss ich: Sich nur beschweren bringt nichts, das macht allen nur schlechte Laune. Deswegen versuche ich die Leute aufzuklären und dabei auch ein bisschen zu unterhalten. Die Medizin wird immer besser mit Zucker gelutscht. Und ich freue mich sehr, dass es gut ankommt.

Was würdest Du Eltern raten, welche die Diagnose «Autismuskind» erhalten haben?
Sich sofort Hilfe holen. Das ist das Wichtigste und gleichzeitig auch das Schwierigste. Denn es ist ähnlich, wie jemandem mit einer Depression zu sagen: «Ja, seien sie halt glücklicher.» Oder einem Übergewichtigen: «Dann essen sie halt weniger.» Ich kann dennoch nur raten: Sucht euch schnell einen Autismusverein, sucht euch Gruppen, wo Profis sitzen und euch erklären, wie ihr das wuppen könnt. Bei uns hats rund drei Jahre gedauert, bis wir sagen können: Zu uns kommt jeden Tag ein Pflegedienst und macht uns zwei Stunden den Haushalt.

Warum dauerte es so lange?
Zuerst ist man ein bisschen scheu zu sagen: «Ich brauch Hilfe.» Dann ist man oft zu erschöpft, um sich zu überlegen: «Hmm und wo krieg ich die Hilfe denn her?» Und wenn man diese zwei Hürden überwunden hat, macht man immer wieder die Erfahrung, dass man abgewiesen wird. Weil die Pflegedienste immer überladen sind und Bürokraten nicht kooperieren wollen und man sich immer rechtfertigen muss. Dazu kommt: Es ist für viele Menschen auch eine wahnsinnige Überwindung, wenn da einfach irgendjemand in Deinen privaten Bereich kommt. Der sieht dann auch teilweise Dein Elend, sieht in was für Chaos Du vor dich hinvegetierst, weil du es einfach nicht schaffst.

Also spielt da auch Angst vor Vorurteilen mit?
Ja, man hat Angst als derjenige dazustehen, der es nicht auf die Kette kriegt. Und manchmal will man die Pflegekräfte auch nicht reinlassen, denn das Zuhause ist meine letzte Schutzhülle, die ich habe. Es wurde mir auch bewusst, dass Privatsphäre ein Privileg ist, das viele Behinderte nicht haben. Sie können nicht einfach die Türe schliessen und sagen: «So Welt, jetzt go f* yourself. Oder eben go hug yourself.» Nein, sie brauchen Hilfe beim Umziehen, beim Aufstehen. Und fremde Menschen so nah an sich ranlassen müssen, das macht was mit einem. Diese Hürde habe ich vorher nicht verstanden.

Wie sieht euer Hilfsnetz zu Hause konkret aus?
Neben der Haushaltshilfe, die jeden Tag kommt, hat unsere Tochter eine Assistentin (Fachbegriff: Integrationshilfe), die mit ihr in den Kindergarten geht und sie dort tagsüber begleitet. Wir haben zwei 450-EURO-Kräfte, das sind Studentinnen, die unsere jüngste Tochter vom Kindergarten abholen und dann Nachmittags beide Kinder mitbetreuen, teilweise bis zum Abendbrot. Dazu haben wir das grosse Geschenk, dass wir eine Sonderpädagogin in der Nachbarschaft haben, die uns über Instagram gefunden hat und wir verstehen uns auch sehr gut.

Kürzlich hat sie gesagt: «Hey ihr könnt nicht mehr, geht ein Wochenende weg, in ein Hotel. Und wir passen auf eure Kinder auf.» Und das war so grossartig. Dass Menschen einfach kommen und sagen: «Ich helfe Dir. Ich kenn Dich nicht, aber ich sehe Du leidest und ich unterstütz Dich jetzt.» Das gibt’s so selten.

Interview nachgoogeln

(Im Podcast besprochene URLs und Ressourcen)

Interview unterstützen

Noch mehr solch guten Inhalte? Mit eurem Support ermöglicht ihr, dass es diesen Podcast auch weiterhin gibt. Wenn ihr noch nicht dabei seid, schaut gerne auf unserer Abo-Seite vorbei und wählt das für euch passende Abo aus. Dabei unterstützt ihr meine Arbeit und könnt ausserdem Premiuminhalte donwloaden wie PDFs zu unseren Spielideen: So funktioniert die Mitgliedschaft