Unsere Autorin findet: Genauso, wie man Frauen früher nicht an den Herd hätte zwingen sollen, soll man sie heute nicht ins Büro zwingen. Denn Care-Arbeit ist genauso wertvoll wie Büroarbeit. In vielen Fällen einiges mehr ;- )
Dass es Feminismus braucht, wurde mir erst klar, als ich Mutter wurde. Nie zuvor wurde mir von so vielen Seiten – von ehemaligen Kommilitoninnen bis zu kinderlosen Nachbarn – und so eindringlich erklärt, was ich als Frau gerade alles falsch mache. Und was genau ich tun und lassen soll. Am meisten erhitzten sich die Gemüter, weil ich, Akademikerin, nach der Geburt entschied, den heissbegehrten Kita-Platz wieder aufzugeben und die ersten Jahre mit meinen Kindern zu verbringen. Und so meine Karriere womöglich an den Nagel hängte. Viele sahen dies als Verrat an der feministischen Bewegung. Ein nach wie vor recht verbreiteter und recht unreflektierter Gedanke.
Die Berliner Politologin und Aktivistin Dr. Emilia Roig analysiert in Why We Matter: Das Ende der Unterdrückung die unsichtbaren Fäden, mit welchen Unterdrückungssysteme wie Rassismus, Patriarchat und Homophobie gewoben sind. Unter anderem beschreibt sie die aktive Rolle von uns Frauen im Patriarchat: «Es sind Frauen, die andere Frauen dahingehend überwachen, ob ihr Verhalten als akzeptabel gilt: zu sexy, zu dick, zu dünn, zu karriereorientiert, zu mütterlich, zu weiblich, zu männlich, zu fürsorglich, zu egoistisch, zu selbständig, zu abhängig.» Frauen als Komplizinnen ihrer eigenen Unterdrückung.
Patriarchale Denkmuster ablegen und Care-Arbeit neu denken
Wer hat uns eigentlich glauben lassen, dass die bisher als «typisch weiblich» gesehene Arbeit, wie Erziehungs-, Haus- oder Care-Arbeit, eine Last und eine niedere Arbeit sein soll? Woher kommt diese Unsicherheit, dass nur der eigene Beruf einem Selbstvertrauen geben kann ? Warum werden Mütter diffamiert, wenn sie sich fürs Hausfrauentum entscheiden, während man Vätern, die Hausmänner werden, begeistert Beifall klatscht? Wie kann es sein, dass dieselbe Arbeit so unterschiedlich wahrgenommen und gewürdigt wird, nur weil sie von unterschiedlichen Geschlechtern erledigt wird? Roig hat darauf eine Antwort: «Das patriarchale Modell schleicht sich in unsere Leben, ohne dass wir es merken. Viele Menschen – sowohl Frauen als auch Männer – die sich für egalitär, feministisch und progressiv halten, sind in patriarchalen Mustern gefangen, meist unbewusst.» analysiert sie in ihrem Bestseller.
«Nur mit der kontinuierlichen, subtilen Abwertung von Weiblichkeit kann das Patriarchat überleben.» Emilia Roig
Wir sind im Patriarchat aufgewachsen, sowas verlernt man nicht von einem Tag auf den anderen. Wollen wir es stürzen, schaffen wir es nicht, indem wir Hausfrauen fertig machen. «Nur mit der kontinuierlichen, subtilen Abwertung von Weiblichkeit kann das Patriarchat überleben.» schreibt Roig. Das Herbeischwören des Endes der Hausfrauen und die Verherrlichung von Erwerbstätigkeit zeugen somit von einer altmodischen Denkweise, wonach nur Berufstätigkeit und Geldvermehrung eine lohnenswerte, wertvolle und anerkannte Arbeit seien. Die übermässige Identifikation mit dem eigenen Beruf bedient dabei ein frauenfeindliches System, das von alten, weissen, bürgerlichen Männern für ebensolche konstruiert wurde.
Um das Patriarchat zu stürzen, müssen wir neu denken. Auch die Care-Arbeit neu denken. Denn Gleichstellung ist nicht erreicht, wenn Frauen sich dem Kapitalismus gefügt haben und Babys 24/7 fremdbetreut werden. Gleichstellung ist erreicht, wenn sich Hausfrauen und Businessmänner auf Augenhöhe begegnen. Wenn nicht nur die Mütter in der NASA gesehen werden, sondern auch diejenigen am Herd. Wenn sich Mütter eine Lebensweise aussuchen können, ohne danach als Huschi am Herd oder aber Rabenmütter beschimpft zu werden und nebst diesem mentalen Stress in den Anfängen, im Alter keine strukturellen Schäden des Mutterseins tragen müssen.
Würde man die Care-Arbeit aufwerten, wäre es auch für Väter einfacher, sich Aufgaben von Care-Arbeit zu widmen.
Um dies zu erreichen, müssen wir neue Machtverhältnisse aushandeln: mit der Wirtschaft, der Politik und unseren Partnern. Vor allem aber mit uns selbst. Denn wir Frauen tragen misogyne Bilder in uns. Einer der grossen Denkfehler dabei: Care-Arbeit wäre nichts wert. Würden Hausfrauen aber die gleiche Entschädigung ergo gleicher Status und Würdigung wie Geschäftsmännern zustehen und die Care-Arbeit somit mehr gesellschaftliche Anerkennung erfahren, wäre es auch für Väter einfacher, sich Aufgaben von Care-Arbeit zu widmen, ohne das Gefühl zu haben, ihre Identität aufzugeben oder etwas zu verpassen.
Auf der nächsten Meile kämpfen
Als frischgebackene Mutter hatte ich das grosse Privileg, frei zu wählen und die ersten Jahre bei meinen Kindern zu bleiben. Ich beschloss dafür auf teure Hobbys zu verzichten, auf den gewohnten Lifestyle und ja, womöglich auch auf meine Karriere. Ganz wohl war mir bei Letzterem nicht. Ich mag finanzielle Unabhängigkeit. Finanzielle Freiheit mag ich auch. Die kann jedes Elternteil einzeln für sich erwirtschaften oder aber gemeinsam als Paar: Wenn beispielsweise die Frau das Haupteinkommen generiert und der Mann Haus- und Care-Arbeit erledigt. In unserem Fall war es umgekehrt, viele bezeichneten unser Familienmodell deshalb als «traditionell». Und das stresste mich. Denn ich bin Feministin. Ich liebe meine Arbeit, es ist unfassbar erfüllend zu lernen, zu schreiben und mein Wissen weiterzugeben. Aber genauso unfassbar erfüllend ist es, mit meinen Kindern zu sein. Diese Zeit würde ich nie missen wollen. Den mentalen Stress und gesellschaftlichen Druck, den ich dabei erfahren musste hingegen schon.
Womöglich ging es mir damals so wie vielen Frauen vor mir, den man vorschrieb, am Herd zu stehen, statt einer erfüllenden Arbeit nachzugehen. Ich bin diesen Frauen für ihre Kämpfe sehr dankbar. Und kämpfe nun weiter. Einfach auf der nächsten Meile.
Dieser Text entstand zuerst auf unserem Instagram @chezmamapoule // Bildrechte: ©Simona Dietiker
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Very pinteresting ;- )
Liebe Ellen. Danke für diesen Text. Ich wünsche mir, dass er ganz viele Frauen und Männer erreicht und dazu beiträgt, dass sich die Auffassung von Care-Arbeit und die Missverständnisse darüber, was Feminismus bedeutet, endlich ändert. Liebe Grüsse, deine Michaela
Vielen Dank, für Deinen steten Support, liebe Michaela!
Liebe Ellen,
ich danke dir für diesen wertvollen Beitrag. Du sprichst mir aus dem Herzen und bringst es dabei exakt auf dem Punkt.
Durch die eigenen Kindheitserfahrungen und der Auseinandersetzung mit bindungsorientierter Erziehung, stand für mich schnell fest, dass ich die ersten Jahre für mein Kind da sein möchte.
Was musste ich mir alles anhören. Es ging von „Wenn man es sich leisten kann…“ über „Nur Hausfrau?! Das könnte ich nicht!“ bis zu „Uns hat die Fremdbetreuung auch nicht geschadet“.
Daher verstehe ich, dass viele Frauen sich durch die permanente Abwertung der Care-Arbeit in unserer Gesellschaft und die Glorifizierung der Karriere und außerhäusige Arbeit, dafür entscheiden, ihr Kind frühzeitig in die Fremdbetreung zu geben.
Doch ich würde mir für die nächste Generation so sehr wünschen, dass wir diese Denkweise abstreifen würden und ein System erschaffen, in dem Care-Arbeit – egal, ob von Frau oder Mann geleistet – nicht nur geachtet sondern auch gefördert wird. Denn in erster Linie sollte es doch um die Kinder gehen, die wir in diese Welt begleiten dürfen, anstatt um unsere Karriere, unser Ansehen oder gar den Wünschen von Arbeitgebern.
Ich freue mich sehr, dass du dich diesem Thema widmest und dadurch vielleicht auch anderen Eltern Mut machst, diesen Weg zu beschreiten.
Danke!
Liebe Grüße, Isabell
Vielen Dank, liebe Isabell!
Wichtig, es gibt mir die Kraft weiter zu machen. Wenn ich anfange zu denken, dass ich Karriere machen sollte, ist meine Konzentration weg von meinem Kindern. Ich bin dann gestresst und nicht da mit dem Kopf. Die Frage ist immer noch, wie mach man das finanziell,wenn man Zuhause mit den Kindern bleiben möchte, aber das ist ein anderes Thema. Danke für deine wichtige Beiträge!
Danke, liebe Andrea!
Liebe Ellen
Vielen Dank für diesen sehr inspirierenden und so wahren Text, der grade heute für mich wie Balsam auf meiner Seele ist.
Ich hätte es vorher als Nicht-Mutter nie für möglich gehalten, habe mich aber nach der Geburt meines Sohnes auch dazu entschieden zuhause zu bleiben. Es fühlte sich richtig an. Er ist nun 15 Monate alt und erst seit einigen Wochen arbeite ich als Freelancerin ein etwa 20 bis 30% Pensum. Aus dem Home-Office, ohne Fremdbetreuung, nur zwischen mir und meinem Mann geregelt. Das wird auch noch eine Weile so bleiben.
Jeden Tag habe ich das Gefühl, ich müsse mich rechtfertigen, vorallem gegenüber anderen Müttern, die fix arbeiten oder ihre Kinder abgeben. Irgendwie fühle ich mich wertlos gegenüber denen. Ich bin ja nur „Hausfrau“.
Dabei habe ich erst festgestellt, dass nicht unbedingt immer die anderen das Problem sind, sondern mein verinnerlichtes Bild, dass mir das Patriarchat 35 Jahre lang eingetrichtert hat. Ich hoffe, wir alle können uns irgendwann davon frei machen und das tun, was sich richtig anfühlt.
Danke für deine wichtige Arbeit!
Liebe Grüsse
Vanessa
Danke für Deinen Support, liebe Vanessa. Und das teilen Deiner Erfahrungen. Immer wieder spannend zu hören, wie es andere so erleben.
Ein so wichtiger Text und Ansatz.
Danke, liebe Jenny!
Wow ich habe gerade Tränen in den Augen. Es ist so schön das zu lesen. Und das ich auch was Wert bin obwohl ich „nur“ meine Kinder begleite. Es ist soo schade dass ich das aber nicht vollens genießen kann und mich immer wieder runter ziehen lasse, von dem Denken der Gesellschaft, man ist mehr Wert wenn man Arbeiten geht und es ist normaler die Kinder fremd betreuen zu lassen!!!!