Unsere Eltern wollten, dass es uns mal besser geht als ihnen. Aber wie steht es um die Zukunft unserer Kinder? Wir sind an einem Wendepunkt angelangt, findet unsere Gastautorin, Nicole Gutschalk.

Tiefer Aargau, Achtzigerjahre. Wohnen auf dem Land ist das Nonplusultra. Wer im Eigenheim auf dem Dorf lebt, hat es geschafft. Man fährt einen schicken Kombi – und drei Mal im Jahr in die Ferien; einmal Skifahren, einmal Städtetrip, einmal Baden im Meer. Fliegen wird zunehmend billiger, Pauschalreisebüros schiessen wie Pilze aus dem Boden. Es gibt zwar ein Borkenkäferproblem und diese Sache mit Tschernobyl. Aber ernsthafte Sorgen um die Umwelt scheint sich kaum jemand zu machen. Mit Ausnahme dieser zwei, drei Familien im Dorf vielleicht. Sie tragen Wollsocken und Jutebeutel, mähen ihren Rasen nicht und haben weder Fernseher noch Auto. Freaks halt – mehr belächelt als bewundert.

Selbstverwirklichung – das Zauberwort unserer Generation

Nein, die Umwelt war es nicht, die der Generation meiner Eltern den wohlverdienten, mittelständischen Schlaf raubte. Was sie ängstigte, waren vielmehr diese ominösen Kinderschänder, die damals überall ihr Unwesen zu treiben schienen, und uns Kindern auf dem Schulweg und im fiesen Maisfeld auflauerten. Ein paar Jahre später war es dann der Sog der grossen bösen Stadt, die für schlaflose Nächte sorgte. Dort lauerte das unersättliche Monster «offene Drogenszene», das junge Menschen reihenweise verschlang und dann als Zombie wieder ausspuckte. Doch war man weder im Wald verscharrt noch als Untote am Zürcher Letten gelandet, hatte stattdessen eine vernünftige Lehre oder sogar die Matura im Sack, stand einem «erfolgreichen» Leben im Grunde nichts mehr im Wege. So zumindest die elterliche Annahme. Und auch für uns Mädchen schien nun alles möglich. Karriere und Kind? – Easy, was spricht dagegen?

So einiges. Allem voran ein paar strukturelle Barrieren, die sich leider hartnäckig halten und einer Gleichstellung zwischen den Geschlechtern bis heute im Weg stehen (wie beispielsweise die Lohnungleichheit). Aber das ist ein anderes Thema, und das war uns damals nicht bewusst. Oder schlichtweg egal. Schliesslich waren wir – unterwegs im seligen Jahrzehnt der 1990er – in Aufbruchsstimmung, und ganz und gar mit uns selbst beschäftigt. Schliesslich war «Selbstverwirklichung» das Zauberwort unserer Generation – dem galt es Rechnung zu tragen. Wer was von sich und der Welt hielt, ging auf Reisen, flog um den Globus, um im Austausch mit fremden Völkern und Kulturen sich selber zu entdecken. Und so naiv wir vielleicht auch waren, so hatte diese Zeit doch etwas Wunderbares: Sie war leichtfüssig und hoffnungsvoll.

Was geben wir unseren Kindern mit?

Eine Grundstimmung, die ich heute eigentlich jedem Menschen wünschen würde, der sich auf ins junge Leben macht. Doch leider muss sich das momentan alles andere als leichtfüssig anfühlen – und das hat nur bedingt mit der Pandemie zu tun. Vielmehr entlassen wir unsere Kinder in eine Welt voller Krisen und düsteren Prognosen. Allem voran lauert auf sie die wohl grösste Gefahr der Menschheitsgeschichte: der Klimawandel. Dicht gefolgt von der Bedrohung, die von der wachsenden Kluft zwischen Arm und Reich ausgeht und der damit einhergehenden Re-Feudalisierung unserer Gesellschaft.
Obwohl sich das viele nicht gerne eingestehen, aber Paketboten, Putzfrauen, Nannys und Altenpflegerinnen sind so was wie die Leibeigenen unserer Zeit, die uns Menschen mit den superkreativen und superwichtigen Jobs den vermeintlich verdienten Extra-Lifestyle ermöglichen. Bezahlbarer Wohnraum in den Städten der Zukunft? Zunehmend eine Illusion. Gesicherte Renten für ein würdiges Leben im Alter? Unwahrscheinlich.

Und was geben wir unseren Kindern zur Bewältigung dieser Herausforderungen mit auf den Weg? Werte und Ideale, die voller Widersprüche sind. Wir kaufen am Montag Biogemüse ein und verzichten an der Kasse freiwillig aufs Plastiksäckli. Aber bis Ende Woche haben wir dann doch wieder viel zu oft, viel zu viel unnützen Mist gekauft, den wir weder wollten, noch wirklich brauchten. Und in den Herbstferien fliegen wir mal eben kurz für ein paar Tage ans Meer, weil wir es einfach so vermisst und vor allem sowas von verdient haben nach all den Monaten erbarmungsloser Schufterei. Unser Wirtschaftssystem dankt es uns, so viel steht fest. Und dazu wurden wir schliesslich auch erzogen, zu guten Konsumentinnen und Konsumenten.

Deshalb liebe Kinder: Ausser Hafermilch und einem Mister-Green-Abo, fällt uns leider nicht viel Schlaues ein zur Rettung Eurer Zukunft. Schaut also, dass ihr das am besten selbst auf die Reihe kriegt! Aber denkt daran: Wer PET-Flaschen sammelt und auf Plastikröhrli verzichtet, hat noch lange nicht die Welt gerettet.

Dieser Text von Nicole Gutschalk erschien ursprünglich im Tagesanzeiger Mamablog. Vielen Dank, Nicole, dass wir diesen tollen Artikel hier veröffentlichen dürfen! // Bildrechte Titelbild: ©Simona Dietiker

Nicole Gutschalk

                                                                                                                               Bildrechte Nicole Gutschalks Portrait: ©Laura Anahi

Nicole Gutschalk mag es gerne strukturiert und übersichtlich –  ihr Leben mit drei Kindern ist hingegen prall gefüllt und chaotisch. Trotzdem plädiert sie in Sachen Erziehung für mehr Gelassenheit. Wenn sie gerade nicht über Familienthemen schreibt, töpfert sie Raku-Objekte, hört philosophische Podcasts oder spaziert mit ihrem Dackel durch Zürich. Als Journalistin war sie unter anderem für die Zeitschrift annabelle sowie für das Magazin Wir Eltern tätig. Seit Sommer 2019 leitet sie den Mamablog des Tages-Anzeigers von Basler Zeitung, Berner Zeitung und Der Bund.

 

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Das Titelbild hat die Familienfotografin Simona Dietiker von Momoland Photo gemacht.