Vom schlechten Gewissen, ruhigen Wohnungen und Franziska Schutzbachs neustem Buch.
In letzter Zeit spielt mir der Instagram-Algorithmus Witze und Memes zu, die gehen etwa so: «Endlich Ferien!» «Oh, nicht für Mütter, denn bei uns steigt da gewöhnlich das Arbeitspensum.» Diese Contentfetzen werden mir angezeigt, da sie in meiner Internetblase viel Anklang finden – in der Fachsprache viral gehen.
Da war auch mal dieses virale TikTok-Video, mit dem Schriftzug «Mein Therapeut riet mir, meinen Stress zu eliminieren.» und dazu eine Mutter, die ihren Mann und die Kinder zur Tür aus dem Haus hinausschickt und dazu verschwörerisch grinst. Schrecklich, oder? Ja. Aber ich muss es zugeben, kürzlich da fühlte ich mich ein wenig wie diese Mutter aus diesem schrecklichen TikTok-Sketch.
Es war an einem Sonntag, ich genoss auf dem Balkon meinen Kaffee, fühlte mich ganz wunderbar und hatte gleichzeitig ein schlechtes Gewissen. Das schlechte Gewissen sprach in etwa so auf mich ein: «Ah, so ein Familienausflug wäre schon noch toll gewesen. Make memories und so. Deine Tochter zeigt Dir doch so gerne und voller Stolz ihre Tauchfortschritte und diesmal bist Du einfach nicht dabei.» Mein Mann fuhr mit den Kindern ins Schwimmbad, ich ging nicht mit, da ich zu müde war und dringend ruhige Wohnung brauchte.
Ich teilte meinen geschwänzten Sonntagsausflug mit meiner Insta-Bubble von rund 17’000 Müttern und war überwältigt von den vielen Reaktionen. Offenbar war an diesem Sonntag nicht nur ich sehr müde.
Franziska Schutzbach und die Erschöpfung der Frauen
Die Schweizer Geschlechterforscherin Dr. Franziska Schutzbach hat der weiblichen Müdigkeit ihr neustes Buch gewidmet: «Die Erschöpfung der Frauen. Wider die weibliche Verfügbarkeit.» Darin erklärt sie, warum es politisch ist, wenn Frauen nicht mehr können. Und dass vieles mit Care-Arbeit zu tun hat. Da gibt es diese gesellschaftliche Idee der «weiblichen Natur», die Weiblichkeit mit Fürsorglichkeit gleichsetzt. Ob zu Hause oder im Büro – von Frauen wird erwartet, sich um die Harmonie, Trost, Beziehungsarbeit zu kümmern. Gleichzeitig bleibt diese Care-Arbeit unsichtbar, wenig anerkannt und entsprechend unbezahlt. Care-Arbeit ist anstrengend. Und die gesellschaftlichen Zuschreibungen aber auch die verinnerlichten Ansprüche an uns selbst sind anstrengend. Diese Kombi treibt uns Frauen in die Erschöpfung.
Was also machen? Franziska Schutzbach überlegt sich dazu u.a. die politische Idee einer 20-Stunden-Woche: «Zwanzig Stunden Erwerbsarbeit pro Woche muss reichen. In der übrigen Zeit sollten wir andere Dinge tun – uns kümmern, um andere, um den Planeten und um uns selbst.»
«Zwanzig Stunden Erwerbsarbeit pro Woche muss reichen. In der übrigen Zeit sollten wir andere Dinge tun – uns kümmern, um andere, um den Planeten und um uns selbst.» – Franziska Schutzbach
Mit ausgeschlafenen Frauen gegen das Patriarchat
Doch wohin mit dem schlechten Gewissen? Viele von uns kennen dieses Dilemma: Wir beneiden den Mann, weil er heute ins Büro darf oder sehnen uns nach Ruhe. Doch kaum ist man selbst im Büro angekommen oder sind die Kinder eingeschlafen, scrollen wir sehnsüchtig durch ihre süssen Fotos und vermissen sie. Manchmal nehme ich diese Zerrissenheit mit Humor. Oft hilft es. Manchmal macht mich das alles traurig und ich habe das Gefühl als Mutter so einiges falsch zu machen.
“Maybe the real revolution is not a wild, but a rested woman.” sagte mal die US-amerikanische Schriftstellerin Elizabeth Gilbert. Ich ziehe aus der Geschichte folgendes, vorläufiges Fazit: Sonntagsfamilienausflüge sind überbewertet. Denn gute Erinnerungen entstehen nicht nur bei Sonntagsausflügen. Sondern auch unter der Woche, ganz unspektakulär. Beim Schuhebinden helfen zum Beispiel.
Und um die Erinnerungen schön zu machen, muss ich mich ab und zu zurückziehen und Ruhe tanken. Ganz ohne dieses schlechtes Gewissen. Denn die Erschöpfung der Frauen ist politisch. Und vielleicht werden wir das Patriarchat tatsächlich nur mit ausgeruhten Frauen zerschlagen können.
Was sind eure Ruheinseln? Also Momente in denen ihr euch zurückzieht und die euch Energie und Entspannung schenken? Teilt es gerne in den Kommentaren und lasst uns somit faules Muttersein feiern!
Dieser Text wurde ausgelöst durch eine Debatte auf Instagram, folge mir gerne dort: @chezmamapoule // Bildrechte: ©Simona Dietiker
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Das Titelbild hat die Familienfotografin Simona Dietiker von Momoland Photo gemacht.
Auch mein Mann und ich teilen uns die Care-Arbeit. Er arbeitet 60, ich 80%. Wir beide mögen diese Aufteilung, aber selbst wenn ich, rein rechnerisch nur 20% meine Kids betreue, bin ich oft erschöpft. Der Spagat zwischen, Job, Mama-sein, Ehefrau-sein und Ich-sein ist einfach anstrengend. Eigene Bedürfnisse bleiben oft auf der Strecke. Kürzlich habe ich ein kleines Ressourcencoaching gemacht. Da habe ich gemerkt, was für mich Ressourcen sind. Seither setze ich sie bewusster ein. Ein Tee am Abend, wenn die Kids schlafen. Ein paar Minuten lesen im Zug nach Hause. Kuscheln mit den Kids.
Das klingt sehr spannend, dieses Ressourcen-Coaching. Wo hast Du es gemacht? Auf jeden Fall toll, dass es Dir geholfen hat. Lieber Gruss, Ellen
Die Ruhe allein zu Hause zu genießen ist für mich nicht mit einem schlechten Gewissen verbunden – das sollte es auch nicht. Sicher spielen da auch die vielleicht zu hohen Erwartungen an einen selbst mir rein.
Das jedes Familienmitglied „exklusive Ich-Zeit“ hat, ist bei uns selbstverständlich und auch wichtiger als zusammengelegte Wäsche oder ein frisch gewischter Badezimmerboden.
Auch weil mein Partner und auch schon die Kinder sie aktiv einfordern. Und zwar nicht nur hinsichtlich dem Motto „ich will mal meine Ruhe haben“ sondern gerade auch von meinem Mann dahingehend, dass er mit den Kindern etwas allein erleben und unternehmen will. Es sollen nicht immer Mama oder Papa oder das Geschwisterchen dabei sein, jemanden mal ganz für sich allein zu haben, ist auch besonders – und kann im gegenzug von den übrigen als Auszeit für sich genutzt werden. Diese Chance muss man dann aber auch ergreifen wollen.
Das geht auch bei zwei Erwerbstätigen mit 38 h Woche…
Oh ja, so Qualitytime ist sehr wertvoll. Ihr macht das toll! Lieber Gruss, Ellen
Hallo ihr Lieben,
ich kann mich sehr glücklich schätzen, denn mein Mann und ich teilen uns die Erwerbs- und Care-Arbeit unserer Kinder (2.5 und 6) und des Haushalts komplett. Beide arbeiten in einem 60% Pensum. Er betreut – wie ich auch – 2 Tage die Woche die Kinder und einen Tag verbringen sie mit Grand-maman.
Ganz ehrlich gesagt, setzt mich das manchmal auch unter Druck, denn man vergleicht sich in diesem Job-Sharing auch. Meine Gedanken sind dann etwa : „ach jetzt hat er schon die ganze Wäsche gemacht, gebügelt und war auch noch Einkaufen…..die Menüs für die Woche stehen. Und ich ? Ich werde dann noch die Badezimmer putzen…vielleicht…am Donnerstag :-)“ Natürlich gibt es auch Bereiche, um die ich mich exklusiv kümmere wie z.B. Nachschub an Kleidung für unsere Kinder, Geburtstagsgeschenke etc. etc. Und wahrscheinlich – zumindest empfindet er das auch so – sind unsere beiden Einsätze im Gleichgewicht übers Jahr gesehen. Es liegt mir fern zu klagen, ich möchte nur einen Aspekt aufzeigen, den dieses Job-Sharing mit sich bringt.
Was die Sonntagsausflüge betreffen, bin ich klar der Meinung, dass die spontanen Erlebnisse, sei es auch nur eine Kitzel-Attacke im Elternbett, viel mehr bleibende und positive Erinnerungen bringen wie organisierte Familienzeit, die meist von den Eltern geplant wird und vielmehr ein Kompromiss zwischen den Vorstellungen der Eltern und den Wünschen der Kindern ist.
Einen guten Start in die Woche allerseits!
Danke, liebe Manuela, finds immer sehr spannend die Erfahrungen und „Arrangements“ von anderen Eltern zu erfahren. Als Aussenstehender scheint mir euer Modell tatsächlich als die optimalste Lösung zu sein: für Kinder, für Eltern, für Grand-Maman und wohl auch für euch als Paar, das auf Augenhöhe lebt und die verschiedenen Verantwortungen teilt. Und doch kann es auch hier Ressentiments gegenüber der eigenen Aufteilung geben, danke für diesen Einblick. Und ich wünsche euch auf eurem Weg alles Gute! Ellen
Liebe Ellen,
dass mit der 20 Stunden Erwerbsarbeit wird hier in Österreich von vielen Frauen so gemacht. Mehr Kinderbetreuung (Kleinkind und auch Volksschule) ist einfach nicht da. Ab Mittagszeit sind die meisten Frauen zu Hause mit den Kindern und machen Hausaufgaben oder spielen mit den Kindern.
Es brauchte global einfach eine Bezahlung, eine Aufwertung von den Care-Arbeit; es kann ja auch in Pensionsgeld zB aufgewertet werden. Weil Kinder sind nicht nur eine persönliche Wahl, sie sind die Zukunft und auch politisch.
Lg aus Salzburg, Evelyn
Yes! Spannender Gedanke mit der Aufwertung von Pensionsgeldern. In meinen Augen wäre eine etwas humanere Elternzeit schon mal ein guter Start. Ca. rund 3 Jahre pro Kind. Und die damit einhergehende Aufwertung von Care-Arbeit seitens Firmen und Arbeitgeber, damit u.a. auch Väter keine Angst haben müssen, keine gute Stelle mehr zu bekommen, wenn sie sich auch mal ein Paar Jahre kümmern. Alles Gute Dir!
Den Luxus von 20 Stunden Erwerbsarbeit würde ich mir auch gerne leisten können. Doch da ich im Alter nicht in der Frauenarmut landen will, noch auf einen Mann angewiesen sein will, geht das nicht.
Liebe Ricarda, damit ist die politische Idee nach einer 20-Stunden-Woche gemeint. Also dass wir alle 20 Stunden arbeiten, statt wie heute üblich 40. Und mit 20 Arbeitsstunden den gleichen Lohn wie heute mit (offziell) 40-Stunden-Woche erhalten. Werde das so anpassen im Text, danke für Hinweis. Herzlich, Ellen