Eltern werden, Liebespaar bleiben? Beziehungsexperte Guy Bodenmann verrät, wie junge Eltern lernen können über Gefühle zu reden und so in drei Schritten ihr Scheidungsrisiko senken.
Die Statistiken zeigen: Eltern lassen sich am häufigsten scheiden, wenn ihre Kinder zwischen 5 und 14 Jahren alt sind. Die Trennungen finden häufig einige Jahre früher statt. Ihr könnt also rechnen, ob ihr zur Risikogruppe gehört. Also rein statistisch gesehen natürlich. Wie können wir Eltern diese Statistik drücken?
Wie hält man eine Beziehung resilient, trotz Mental Load, Maternal Gatekeeping und schlaflosen Nächten? Das weiss Prof. Dr. Guy Bodenmann, einer der bekanntesten Paarforscher und -Therapeuten der Schweiz. Guy Bodenmann ist Professor für klinische Psychologie an der Universität Zürich, er hat vor 20 Jahren das «Paarlife» – ein sehr erfolgreiches Präventionsprogramm für Paare – gegründet und Bücher wie «Was Paare stark macht» und «Bevor der Stress uns scheidet» geschrieben. (Dieses Interview gibt es übrigens auch zu hören im „go hug yourself!“-Podcast)
Lieber Guy Bodenmann, Ihr Buch «Bevor der Stress uns scheidet» zeigt, wie gravierend Alltagsstress für Beziehungen sein kann. Sind junge Eltern gestresster als z.B. kinderlose Paare und haben sie ein höheres Scheidungsrisiko?
Das ist leider so. Wir sehen in allen Studien: Bei fast 70 Prozent der Paare, nimmt nach der Geburt des ersten Kindes die Streithäufigkeit zu und die Beziehungszufriedenheit sowie gegenseitige Unterstützungsbereitschaft ab. Letzteres finde ich besonders gravierend, weil mit der Geburt eines Kindes sehr viel mehr Belastung und Stress aufkommt.
Weniger Zeit und Geld dafür mehr Hausarbeit, sind das die typischen Stress-Probleme von jungen Eltern?
Ganz häufig werden Paare nach der Geburt in ihren Erwartungen enttäuscht, was Stress auslöst. Vor der Geburt plante man ein egalitäres Familienmodell. Nach der Geburt wird die Frau aber oft viel stärker in die Erziehungsaufgaben und den Haushalt eingebunden und der Mann zieht sich verstärkt ins Berufsleben zurück.
Was stresst junge Eltern ausser den Geschlechterrollen?
Die schlaflosen Nächte führen zu Erschöpfung und oft zu Gereiztheit. Der Alltag ist anspruchsvoller, weniger planbar. Es bleibt kaum Zeit für sich und die Paarbeziehung. Hobbys bleiben auf der Strecke. Die Sexualität hat ihren Platz noch nicht wiedergefunden. Diese Veränderungen kann man nicht vorwegnehmen, auch wenn man die Paare vor der Geburt darüber aufklärt.
Der Stress bleibt aber auch lange nach der Geburt und den schlaflosen Nächten, warum?
Vor allem Frauen sind oft dem Spagat zwischen beruflicher Erfüllung, Partnerschaft, Elternsein und Haushalt ausgesetzt. Deshalb weisen Frauen im Alter zwischen 30 und 50 das höchste Stressniveau auf. Insgesamt haben sie ein doppelt so hohes Risiko, an einer Depression zu erkranken. Bemerkenswert ist dabei, dass bei Müttern meist die Diagnose Depression und nicht Burnout vergeben wird, obwohl sie eigentlich in vielen Fällen ein Burn-out haben. Dies zeigt, dass Care-Arbeit als geringer bewertet wird als Erwerbsarbeit.
Woran kann eine Mutter erkennen, dass bei ihr fälschlicherweise Depression statt Burnout diagnostiziert wurde?
Die Hauptsymptome bei beiden sind: Niedergeschlagenheit, Energielosigkeit, Lustlosigkeit. Bei Depressionen kommen häufig Schlafstörung, Appetitstörung, Gewichtszunahme oder -abnahme sowie Konzentrationsschwierigkeiten hinzu. Beim Burn-Out hingegen sind die Symptome eingeschränkter, es zeigt sich keine generelle Lethargie. Man fühlt sich in einem bestimmten Bereich erschöpft und energielos und in anderen Bereichen durchaus noch funktionstüchtig. Bei Burnout-Müttern ist es häufig so, dass es nicht mehr geht zu Hause, draussen geht es ihnen besser.
Wäre es gesünder Single zu bleiben?
Nein, das zeigt die Studienlage sehr deutlich. Längere, feste Paarbeziehungen wirken sich positiv auf die Lebenszufriedenheit und Gesundheit aus. Wer in einer glücklichen, längerfristigen Partnerschaft ist, lebt länger und ist ausserdem produktiver sowie kreativer am Arbeitsplatz. Ausserdem bietet die Partnerschaft eine einmalige Ressource – die gegenseitige Unterstützung nach dem Motto «geteiltes Leid ist halbes Leid». Denn Paare haben – im Vergleich zu Singles – diese jederzeit zur Verfügung stehende Möglichkeit, den Stress gemeinsam bewältigen zu können.
Wie genau?
Unsere Studien zeigen, dass es für die Stressbewältigung wichtig ist, sich Zeit zu nehmen, um behutsam und vertieft über Gefühle zu reden. Themen, die einen belasten, sollten nicht zwischen Tür und Angel nur oberflächlich gestreift werden. Man sollte versuchen, dem anderen mitzuteilen, warum es einen so beschäftigt. Das Problem dabei ist: Bei Hunderten von Paargesprächen über Stressereignisse, die wir analysiert haben, zeigte sich, dass der Zuhörende bereits nach kurzer Zeit Ratschläge erteilt, noch bevor er überhaupt verstanden hat, worum es dem Partner genau geht. Das bringt den Gestressten zum Schweigen.
Hier kommt die von Ihnen entwickelte 3-Phasen-Methode ins Spiel?
Genau. In der ersten Phase (ca. 20 Minuten) erzählt der eine Partner was vorgefallen ist und wie er sich dabei gefühlt hat. Der Zuhörende versucht zu verstehen, stellt offene und interessierte Fragen, gibt aber keine Ratschläge. Nehmen wir an, eine Mutter schildert, dass sie heute völlig überfordert war und das Gefühl hatte, eine schlechte Mutter zu sein. Da kommen ganz häufig praktische Tipps, wie sie das Kind hätte besser betreuen können usw. Aber das hilft ihr nicht. Was sie braucht, ist Verständnis und emotionale Unterstützung. Sie muss ernstgenommen werden und sich verstanden fühlen.
In der zweiten Phase?
In dieser Phase soll der Zuhörende emotionale Unterstützung anbieten (ca. 10 Minuten). Bei den oben erwähnten Selbstzweifeln der Mutter, könnten Verständnis, Empathie und Wertschätzung helfen, vielleicht auch Mut machen oder von eigenen Überforderungsgefühlen mit den Kindern zu berichten. Erst in zweiter Linie können problembezogene Hilfeleistungen angeboten werden. Der vormalige Sprecher soll nun seinerseits zuhören, ohne Kommentare zu machen und einfach wahrnehmen, wie die Unterstützungsvorschläge auf ihn wirken.
Und am Schluss?
In der dritten Phase (ca. 5 Minuten) soll der Unterstützte eine konstruktive Rückmeldung geben: Wie wirksam war die Unterstützung, was war besonders wirkungsvoll, was hätte man sich zusätzlich gewünscht? Diese Rückmeldung darf auch Lob und Anerkennung enthalten. Wenn die Unterstützung des Partners als selbstverständlich angenommen wird, schmälert dies die Wahrscheinlichkeit erneuter Unterstützung. Wichtig ist, dass man diese Stressgespräche möglichst häufig übt. So kann man als Paar mit der Zeit lernen, sich besser aufeinander einzustellen und sich gegenseitig wirksamer zu unterstützen.
Sind Paare zufriedener, wenn der Mann mehr Care-Arbeit zu Hause leistet?
Ja, die Mithilfe zuhause ist wichtig, auch wenn Frauen häufig die Rolle als Gatekeeper einnehmen. Trotz Emanzipation sind heute immer noch alttradierte Muster sehr präsent. Dies sieht man auch, wenn der Vater die gesamte Care-Arbeit übernimmt. Auf einmal ist er als Mann mit denselben Schwierigkeiten wie die Mutter konfrontiert. Es fehlt an der gebührenden Wertschätzung. Die Person, welche bezahlter Erwerbsarbeit nachgeht, unabhängig davon ob dies die Frau oder der Mann ist, zeigt sich wenig verständnisvoll und anerkennend für die geleistete Arbeit des anderen. Vom Rollenverständnis her ist der Vollzeitvater für die Mutter zudem nicht unkompliziert. Nehmen wir die Situation, die Familie ist zu einer Party eingeladen. Das Kind stösst sich und läuft dann schreiend zu wem? Zum Vater. Das ist nachvollziehbar, denn wer mehr Zeit mit dem Kind verbringt, hat die stärkere Bindung. In dieser Situation sieht nun die Mutter zu, wie sich das Kind vom Vater trösten lässt. Für die Mutter schwierig. Sie fühlt sich aussen vor und alle schauen sie verwundert an, weil sie das Trösten eigentlich von ihr erwarten würden. Aus solchen Situationen entsteht oft Beziehungsstress. Es ist wichtig, dies gemeinsam zu besprechen und zu verstehen, dass der Stress oft durch Erwartungen anderer resultiert.
Was mich als frischgebackene Mutter gestresst hat, war die gesellschaftliche Erwartung, möglichst schnell wieder berufstätig zu werden, Stichwort: Heimchen am Herd. Eine Freundin von mir brachte ihr Kind mit vier Monaten in die Kita und wurde als Rabenmutter beschimpft. Dieses Reinreden erleben viele Mütter als extrem kräfteraubend, wie befreit man sich von diesem gesellschaftlichen Druck?
Dass die Toleranz oft fehlt, ist ein grundsätzliches Problem unserer vermeintlich liberalen Gesellschaft. Nach wie vor sind Erwartungen hoch, alle reden drein. Das verunsichert Eltern massgeblich. Sie denken, sie müssen perfekt erziehen und perfekte Partnerinnen und Partner sein. Dabei gibt es nichts Schwierigeres als Partnerschaft oder Elternschaft. Jede Situation, jedes Kind ist anders. Man muss sich ständig anpassen, was an sich spannend ist, aber enorm viel Flexibilität erfordert. Letztlich können wir nur so gute Eltern oder Partnerinnen oder Partner sein, wie wir uns selber gut fühlen. Darum ist es wichtig immer wieder zurückzutreten, zu reflektieren und sich vor Augen zu halten: Die perfekte Beziehung und die perfekte Partnerschaft gibt es nicht. Wir können nicht alles perfekt machen, wir können nur versuchen, es so gut wie möglich zu machen.
Zur fehlenden Toleranz kommt oftmals der sehr tiefe Stellenwert von Familien in unserer Gesellschaft.
Ja, das bedauere ich sehr. Ich hatte früher Paar- oder Familienabende in meinem Kalender eingetragen. Wenn Termine für berufliche Sitzungen gefunden werden mussten, winkte ich bei diesen Daten ab, was auf Unverständnis stiess. Diese Termine könne ich doch leicht verschieben, es kam zu Diskussionen. Seither notiere ich diese Termine wie berufliche und alle akzeptieren es, dass ich da keine Zeit habe. Das zeigt, dass Partnerschaft und Familie einen niedrigeren Stellenwert haben. Darum ist es wichtig, dass jeder für sich selbst festlegt, wie viel er in die Partnerschaft und Familie investieren möchte und sich von den Erwartungen und Zwängen anderer und der Gesellschaft befreit.
Titelbild: Simona Dietiker
Tranksription: Karolina Heuer
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Guy Bodenmann
Prof. Dr. Guy Bodenmann lehrt Psychologie an der Universität Zürich. Er hat die Bücher «Bevor der Stress uns scheidet» und «Was Paare stark macht» geschrieben. Paaren stellt er kostenlos ein Online-Training zur Stärkung ihrer Beziehung zur Verfügung. Hier kann man die 3-Phasen-Stressgespräche üben (www.paarlife.ch)
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Das Titelbild hat die Familienfotografin Simona Dietiker on Momoland Photo gemacht.
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