Kind tanzt auf der Nase rum! Was tun? An den blauen Pullover denken. Oder an unsere Geschichte mit dem blauen Strohhalm. Jawohl.

Neulich in einem Modegeschäft. Dieser blaue Pullover. Obwohl ich mich sonst gerne schwarz kleide, fand ich, dass dieses leuchtende Blau extrem meinen roten Haaren schmeichelte. Diesen Pulli muss ich einfach haben. An der Kasse händigt mir der Verkäufer aber einen gelben Pullover aus. Leicht irritiert, weise ich ihn drauf hin, dass es der falsche sei und ich den Blauen dort möchte. Er zuckt nur mit den Schultern und meint: Jetzt einfach bitte kein Drama machen. Und schon steckt ein gelber Pullover in meiner Einkaufstasche.

Ich also zur Filialleiterin, um mich bei ihr zu beschweren. Die Filialleiterin versteht mich aber genauso wenig. Dass ich den blauen Pullover will bzw. mich Gelb blass mache, scheint sie kein bisschen zu interessieren. Stattdessen klopft sie ihrem Mitarbeiter auf die Schulter und meint: Gut gemacht, sonst tanzen uns diese Kundinnen irgendwann noch auf der Nase rum.

Ich werde laut, verlange mein Geld zurück, verlasse den Laden. Frust breitet sich in mir aus. Ich fühle mich missverstanden, nicht ernstgenommen. Mir ist nicht mehr nach Einkaufen, sondern eher nach Heulen zumute. Mir wurde die Selbstbestimmung weggenommen. Ich fühle mich in meiner Würde verletzt. Und das obwohl ich 34 Jahre alt bin und kognitiv weiter als ein Kind.

Das Kind tanzt auf der Nase rum

Und wie geht es Kindern? Genau so. Sie fühlen sich nicht ernst genommen. Missverstanden. In ihrer Würde verletzt. Tagtäglich erleben Kinder sowas. Vor kurzem auch meine Tochter. Wir hatten Besuch und waren in der Küche. Ich schenkte uns gerade Wasser ein. Meine Tochter bestand erst leise und als ich nicht reagierte, lautstark auf ihrem blauen Strohhalm. Da ich so vertieft ins Gespräch mit unserem Gast war, musste sie laut werden. Denn versehentlich reichte ich ihr den Gelben.

Als in voller Lautstärke „BLAAAUE Röhrli!“ ertönte, wurde alles still. Mir war das natürlich peinlich. Um meiner Tochter auf Augenhöhe zu begegnen, ging ich in die Hocke und fragte: „Dir ist der blaue Strohhalm sehr wichtig, stimmts?“

„Ja.“

„Und ich hab Dir einfach aus Versehen den Gelben gegeben.“

„Mhm.“

„Entschuldige bitte, hier hast Du den Blauen.“

„Dankeee!“

Meine Tochter sprang fröhlich davon. Und dann kam er. Dieser Satz, vor dem sich, beziehungsorientierte Mütter, fast genauso fürchten wie vor diesem da: „Was? Du stillst noch immer?“. Der Satz lautete: „Na, sie tanzt Dir ganz schön auf der Nase rum.“

Den sinngemässen Dialog mit meinem Gast bzw. meine Argumentation möchte ich mit euch teilen.

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Kinder wollen uns nicht auf der Nase rumtanzen 

Im Gegenteil. Worüber ich als Mutter schon etliche male staunen durfte: Meine Kinder wollen kooperieren. Und sie wollen nichts mehr als ihre Eltern glücklich machen. Uns lachen sehen. Mit uns zusammen kichern. Wissen, dass wir sie lieben.

Und wenn ich auf die Bedürfnisse meiner Kinder empathisch und wertschätzend eingehe, werden sie weder selbstsüchtig noch manipulierend. Denn Kinder werden erst mal in „gut“ geboren. Und beim Aufwachsen reichen sie uns immer öfter den Spiegel. In dem sie genau das tun, was wir ihnen vorleben. Empathie und Respekt sind Dinge, die ich ihnen vorleben will.

Das alles sind einerseits meine subjektiven Erfahrungen als Mutter. Und  andererseits sind das direkte Zitate aus Alfie Kohns „Liebe und Eigenständigkeit*“. Das ist ein Buch, das mich sehr prägte. Ein Buch über das ich immer und immer wieder nachdenken und hier schreiben werde.

Ich muss sagen, dass ich unseren Gast sehr gerne mag. Und nicht erwarte, dass er meine Erziehungsweise teilt. Da liegen Generationen, Kulturen und Welten dazwischen. Er muss meinen Erziehungsstil nicht teilen. Aber er kann versuchen ihn zu verstehen. Und da wir Zeit hatten, erzählte ich meinem Gast, mein (natürlich fiktives) Erlebnis im Modegeschäft. Mein Gast empörte sich erst über den unmöglichen Verkäufer, bis ich zum Satz mit den an der Nase rumtanzenden Kundinnen kam. Eine unangenehme Ruhe bereitete sich aus. Ich bereute es, so belehrend und anhand Parabeln mein Elternsein zu erklären. Aber wisst ihr, was mein Gast zu mir sagte? „Danke. Danke dafür, dass Du Deine Tochter ernst nimmst.“ Das hat mich zutiefst berührt.

Kinder wollen mitbestimmen

Dass Autonomie glücklich mache, las ich zum ersten Mal im Transkript von „Green Change – Strategien zur Glücksmaximierung“ ein Buch, das mein Ehemann geschrieben hat. Darin erzählt er u.a. über die Forscher Ryan und Deci. Diese zeigten mit ihrer vielzitierten Theorie auf, dass Selbstbestimmung ein ungemein wichtiges inneres Bedürfnis sei. Und dass es für unser Wohlbefinden, ja gar für die psychische Gesundheit entscheidend sei. Lassen wir unseren Kindern mehr Selbstbestimmung zu, tun wir also etwas für ihr Glück UND für ihre Gesundheit.

Und wenn ich es mir so recht überlege, können Kinder extrem wenig selber bestimmen. Beinahe alles wird für sie organisiert und ihnen abgenommen: Ob sie heute in die Kita oder mit der Oma in den Park gehen. Ob es heute Risotto oder Ravioli zum Mittag gibt. Ob sie eine grüne oder orange Winterjacke kriegen bzw. von ihren Geschwistern vererben. Tagesablauf. Betreuungspersonen. Wohnformen. Freizeit. Wann die Sommerferien vorbei sind. Kinder haben auf die grossen Fragen praktisch null Einfluss. Können sie auch nicht. Denn das sind primär unsere Aufgaben. Und gerade deshalb: Immer wenn sich in unserem Alltag ein kleines Autonomie-Fenster öffnet, ein Fenster in dem meine Tochter selber bestimmen kann, dann lasse ich ihr dieses liebend gerne offen. Und sei es der blaue Strohhalm. Der für sie notabene genau so wichtig sein kann, wie der blaue Pullover für mich.

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Diskussion

Woher kommt diese Urangst von an der Nase rumtanzenden Kindern? Von wo kommt dieses Bild des Kindes? Woher diese altmodischen Werte, die den Kindern unterstellen, böse zu sein, verzogen zu sein, kleine Tyrannen zu sein? Und weshalb sind wir alle der Meinung, dass Kinder sich ändern müssen, die Erwachsenen sich aber weder hinterfragen noch an sich arbeiten sollen? Das sind Fragen die mich derzeit beschäftigen. Über Austausch mit euch würde ich mich freuen.