Wenn wir unsere Kinder nicht Loben wollen, müssen wir nicht bestimmte Worte benutzen oder vermeiden. Sondern auf ihre Bedeutung achten. Und drauf, was es mit uns macht. Warum das seine Zeit braucht.
[Teil 2 des Dossiers „Loben„]
Stell Dir vor: Du würdest Pablo Picasso himself begegnen (bedingt Du könntest in die Vergangenheit reisen und stündest auf seine Kunst), was würdest Du zu ihm sagen? „Bravo, Pablo!“ und „Gut gemalt!“? Oder vielleicht doch eher: „Es ist mir eine unglaubliche Ehre Dich hier zu treffen!“, „Vielen Dank für Deine Arbeit, Deine Kunst gibt mir wahnsinnig viel.“ oder „Wie kommst Du nur auf die Ideen zu Deinen Bildern?“.
Oder stell Dir vor: Du triffst morgen früh Deinen Nachbarn im Zug und rufst ganz laut: „Bravo, Du bist auf dem Weg zur Arbeit! Gut gemacht!“
Mit diesem Beispiel möchte ich zeigen, dass es für mich beim Thema „Kinder nicht Loben“, um eine Kommunikation auf Augenhöhe geht. Denn ähnlich wertschätzend, wie ich Picasso oder meinem Nachbar begegnen würde, möchte ich Kindern begegnen. Nicht von oben herab. Und ohne zu werten.
Die Sache mit den Emotionen (vs. Bewertungen)
Nach dem Artikel „Warum soll Loben schaden?“ fragt man sich vielleicht: Alles schön und gut, aber wie genau soll ich nun reagieren? Mir dauernd auf die Zunge beissen? Meine echten Gefühle verbergen?
Diese Fragen sind verständlich. Mir hilft es jeweils zwischen Emotionen und Bewertungen zu unterscheiden.
Emotionen = Freude, Stolz, Überraschung, Bewunderung.
Bewertungen = ob ein Bild gut oder nicht ist, ob ein Kind etwas gutes / braves getan hat oder nicht.
Meine Emotionen möchte ich gerne teilen. Und vor echter Bewunderung für meine Kinder so richtig auszuflippen. Meine Bewertungen hingegen mag ich ihnen nicht unbedingt aufdrücken.
Gemäss Alfie Kohn, schadet Lob auch dem Selbstvertrauen unserer Kinder: «Ich will nicht sagen, wir sollten aufhören, positive Dinge zu unseren Kindern zu sagen. […] Wenn Kinder den Eindruck haben, dass wir uns einfach gemeinsam mit ihnen über ihre Leistungen freuen, ist das in Ordnung. Falls sie jedoch den Eindruck haben, wir stülpten ihnen unsere Bewertungen über, so kann dies leicht ihr eigenes Gefühl dafür, wann und warum sie stolz auf sich sein können, verdrängen. Vielleicht beurteilen sie dann bald den Wert dessen, was sie tun, danach, ob es bei uns Anerkennung findet – oder später bei anderen Menschen, die für sie Autoritätspersonen sind.» (S.184 „Liebe und Eigenständigkeit„)
Wertschätzende Kommunikation: 3 Kriterien des „richtigen“ Lobens
Das Thema „Kinder nicht Loben“ liegt mir sehr am Herzen. Denn sie birgt Raum für viele Unsicherheiten und Missverständnisse. Ein solches Missverständnis ist, dass man Eltern aufdrängen will, bestimmte Sprache zu vermeiden und neue, ungewohnte Sätze aufzusagen. Für mich geht es vielmehr darum, meine Absichten hinter meiner Sprache zu reflektieren. Mich selbst zu hinterfragen. Und unser System. Unsere Leistungsgesellschaft, die auf Wettbewerb, Konkurrenz und Vergleiche aus ist.
Alfie Kohn beschreibt drei Kriterien, nach denen wir unser Lobverhalten hinterfragen können:
1. Wen wir loben: Sprich, ob die gelobte Person rangniedriger ist als wir. Denn ein „Welch schönes Bild!“ zu meinem Nachbar (da gleiche Ranghöhe und unabhängig von mir) ist völlig harmlos. Aber beim selben Satz zu einem Kind, müssen wir vorsichtig sein. Denn unsere Kinder sind abhängig von unserer Anerkennung und Liebe.
2. Welche Auswirkungen unser Lob hat: Machen wir unser Kind davon abhängig? Erwartet das Kind nun immer wieder Lob? Wird es gar zum eigentlichen Zweck seiner Handlungen? (Malt es z.B. neue Bilder nur um von uns gelobt zu werden?) Für mich ist es auch ein Unterschied, ob ich zu meiner kleinen Tochter kurz nach dem Aufwachen sage: „Oh mein Gott, wie unglaublich herzig Du bist.“ weil mich ihre verwuschelten Locken in diesem Moment von den Socken hauen oder aber wenn ich zu ihr sage: „Du trägst aber ein hübsches Kleidchen!“. Im ersten Fall erfährt sie meine Anerkennung und Liebe, weil sie einfach so ist, wie sie ist. Im zweiten Fall, weil sie ein bestimmtes Kleidungsstück anhat. (Mehr dazu unter: Nennt meine Tochter nicht hübsch!)
3. Warum wir loben: Zeigen wir damit echte Freude: z.B. „Poah, wenn Du so still hältst, ist es für mich sooo angenehm, Dir die Zähne zu putzen! So komm ich in jeden Zwischenraum hinein und erwische jeden Essensresten!“ Oder ist unsere Freude an Bedingungen geknüpft. Und wollen wir damit das zukünftige Verhalten des Kindes zu beeinflussen? z.B. mit „Bravo, dass Du so gut hingehalten hast beim Zähneputzen.“
Viertes Kriterium: Lieben wir bedingungslos?
Ich würde zur obigen Liste noch einen vierten Punkt anhängen.
4. Wie oft und in welchem Kontext wir loben: Bekommt unser Kind sonst unsere bedingungslosen Anerkennung und Liebe? Sind wir stolz auf unser Kind, weil es einfach ist, wie es ist? (Also grossartig auf seine eigene Art und Weise?) Oder sind wir nur stolz auf ihn, wenn es z.B. als erster vor allen anderen Fahrradfahren gelernt hat? Sprich, wird das Kind nur für besondere Leistungen gelobt ergo geliebt?
Ich denke, dass ein Kind, das immer wieder bedingungslose Liebe erfährt, mit Lob anders umgehen wird. Ein Kind, das mit dem Wissen aufwächst „Ich bin gut genauso wie ich bin. Ich muss mich nicht verändern / verbiegen, um zu gefallen. Denn meine Eltern lieben mich, völlig unabhängig davon, wie ich mich verhalte.“ ist resilienter, als ein Kind das – ein krasses Beispiel – vom Vater nur beachtet wird, wenn es eine gute Note nach Hause bringt.
Kinder nicht Loben: Und wenn doch mal ein Lob ausrutscht?
Wertschätzende Kommunikation braucht Zeit. Und Übung. Wir können nicht nach 24 Stunden etwas vergessen, das wir rund 30 Jahre verinnerlicht hatten. Am Anfang fühlte sich diese wertschätzende Kommunikation für mich seltsam an, da ich „Gut gemacht!“ einfach intus hatte. Aber mit der Zeit kam diese neue Sprache fast automatisch über meine Lippen.
Was aber wenn uns doch ein „Bravo!“ ausgerutscht ist, nachdem sich unser Kind brav verhalten hat? Seien wir nicht zu hart mit uns. Die Idee dieses Artikels ist es nicht, einen Anspruch zu erwecken, sofort mit dem Loben aufzuhören. Unsere Gefühle sind richtig, lassen wir sie einfach zu. Wenn wir uns verstellen, tun wir weder unserem Kind noch uns selbst einen Gefallen. Loben wir aber voller Begeisterung in der Stimme, wird unser Kind das auch spüren.
Wenn sich Loben also gut und richtig anfühlt, nur her damit. Faber & Mazlisch schlagen vor, zu einem „Gut gemacht!“ vielleicht eine Beobachtung, eine Frage oder unsere diesbezüglichen Gefühle anzuhängen: „Bravo, dass Du so gut Zähe geputzt hast. Das ist für mich soooo viel angenehmer.“ (vgl. So sag ichs meinem Kind).
Vielleicht können wir die ganze „Kinder nicht Loben“-Sache mit etwas Experimentierfreude angehen? Schauen, wie es sich für uns anfühlt. Beobachten, wie unser Kind mit unseren Reaktionen umgeht. Und wenn sich das Loben mit der Zeit falsch anfühlt, dann können wir es vielleicht irgendwann auch einfach sein lassen.
Denk an Picasso
Mittlerweile ist es für mich normal auf das Loben (also auf Sprüche wie „Bravo / gut gemacht / schönes Bild“) zu verzichten. Da es für mich mehr mit Bewerten zu tun hat, als mit meinen Emotionen. Meine Freude, echtes Interesse und Wertschätzung kann ich wunderbar zeigen, ohne meine Kinder zu Loben. Denn ich möchte nicht von oben herab bewerten, möchte mich nicht über mein Kind erheben. Natürlich gelingt es mir nicht immer! Aber die Auseinandersetzung mit meiner Sprache und die entsprechenden Veränderungen, sehe ich tatsächlich als eine Begegnung auf Augenhöhe mit meinen Kindern.
Oder um bei dem eingangs erwähnten Picasso zu bleiben: Natürlich spreche ich viel entspannter und vertrauter mit meinem Kind als mit einem weltberühmten und mir fremden Künstler. Aber meine Wertschätzung und Respekt mögen dieselben sein. Ich lege also mein stumpfes, frühes „Bravo!“ beiseite, dränge meine Vorstellung von Schön bzw. Unschön meinem Kind nicht mehr auf und sage heute vielleicht sowas wie:
„Vielen Dank, Ich freue mich so, dass Du mir xy zeigst…“
„Es ist mir eine Ehre, Deine Mutter sein zu dürfen…“
„Freust Du Dich über xy?“
Und immer und immer wieder:
„Es ist so schön, dass Du da bist!“
Weiter geht’s mit dem Dossier „Loben“
Schon mal ein Elternteil gesehen, das entzückt «Bravo! Gut ausgeleert!» ruft, nachdem sein Kind Milch über den Küchentisch ausgeleert hat? Ich auch nicht. Und genauso fängt der nächste Artikel aus dem Dossier „Loben“ an. Darin geht es um das Manipulieren mittels Lob, oder um den „verbalen Hundekuchen“ wie Alfie Kohn solchen Lob nennt. Ich schreibe den Artikel gerade zu Ende für euch und er erscheint am nächsten Sonntag. Um ihn nicht zu verpassen, kannst Du meine Sonntagspost (so heisst mein Newsletter : ) abonnieren. Ich freue mich auf Dich, bis bald! Hier klicken und kostenlosen Newsletter abonnieren
Mehr zum Thema „Kinder nicht Loben“:
- Liebe und Eigenständigkeit von Alfie Kohn ist ein Buch, das ich so oft wie kein anderes kaufte, um es anderen Müttern zu verschenken. Ein Buch das ich am liebsten – hätte ich die Ressourcen – jedem frischgebackenen Elternteil noch vor der Geburt schenken würde. Ich bin überzeugt, würde jeder Mensch dieses Buch lesen, wir hätten weniger Kriege und Leid auf dieser Welt: Buch hier bestellen.
- Warum Lob schadet. Und es dennoch ok ist, wenn Du lobst.
- Kinderzeichnung gibt es nicht! Warum ich Kinderbilder nicht lobe.?
- Interview mit der Künstlerin und Maltherapeutin Alexandra Gysling auf Chezmamapoule.com: Ich seh Dich! Was wir sagen können, statt Kinderbilder zu loben.
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liebe ellen
von lea, meiner demnächst 20 jährigen tochter, erhielt ich ein sms von deiner chezmamapoule seite. deine zeilen freuten mich und ich las sie vom anfang bis zum
ende gespannt und immer wieder kopf nickend fertig.
ich danke dir herzlichst für deine wertvolle öffentlichkeitsarbeit!
es hat mich gefreut, auf diese weise von dir zu lesen.
liebe grüsse von mirjam
anderegg, der cousine von bastien
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Liebe Mirjam,
tausend Dank, Deine wertschätzenden Zeilen bedeuten für mich die Welt – wie Amerikaner so schön sagen würden.
Danke, Danke, Danke!
Herzliche Grüsse an Dich und Deine Familie!
Und auf bald,
Ellen