Warum Komplimente für Frauen zum Gewichtsverlust keine gute Ideen sind und einige Alternativen.
Das Gegenteil von gut ist gut gemeint. Genauso steht es um Komplimente für Frauen zum Gewichtsverlust. Neulich in der Badi trafen meine Töchter und ich unsere ehemalige Nachbarin. Sie begrüsste uns mit einem: «Oh Wahnsinn, du hast ja toll abgenommen! Wie viele Kilo? Welche Diät hast du gemacht?» Meine Töchter hörten mit grossen Augen zu.
Ich hatte während meiner beiden Schwangerschaften rund 20 Kilogramm zugenommen. Eine an sich völlig normale Sache. Denn jeder weibliche Körper reagiert anders auf die hormonellen Umstellungen, Stress und Schlafentzug. Letzteres war bei mir wohl ausschlaggebend. Denn ungefähr ab dem Zeitpunkt, als meine Jüngste (und somit auch ich) anfing, nachts mehrere Stunden am Stück durchzuschlafen, ging es auch mit meinen Kilos runter. Und innerhalb eines Jahres hatte ich plus/minus mein ursprüngliches Gewicht wieder. Was meinen Mitmenschen oft viel Gesprächsstoff bot.
Komplimente für Frauen: Habe ich früher also schlecht ausgesehen?
Komplimente für Frauen zum Gewichtsverlust finde ich aus mehreren Gründen problematisch. Erstens sind diese «Komplimente» schlicht verletzend. Mein Zustand vorher war somit nicht ganz wünschenswert. Denn damals hat ja keiner was gesagt. Die indirekte Botschaft hinter «Du siehst jetzt so toll aus!» ist nämlich: «Du hast früher schlecht(er) ausgesehen».
Zweitens wird mit solchen Komplimenten das – in meinen Augen – längst tradierte Bild eines Körperideals wiedergezeichnet: Gut ist nur, wer schlank ist. Diese Komplimente für Frauen fühlen sich für mich an wie ein: «Bravo, Ellen, jetzt entsprichst auch du wieder dem gängigen Schönheitsideal.» Erwartungen erfüllt. Schublädchen auf. Schublädchen zu.
Drittens kann ein Gewichtsverlust auch eine nicht willkommene Nebenwirkung sein. Es kann sein, dass die Person eine Essstörung hat und deshalb abgenommen hat. Oder zum Beispiel gerade eine Chemotherapie durchmacht. Es kann auch sein, dass die Person stark unter Stress steht, einen Todesfall in der Familie hatte oder an einer Depression leidet und deshalb stark abgenommen hat.
Komplimente zum Gewichtsverlust: Bereits dreijährige Mädchen finden Dünnsein gut
Eine Umfrage (aus dem Jahr 2014) von 102 amerikanischen Mädchen im Alter zwischen 3 und 5 ergab, dass 3-jährige Mädchen das Dünnsein als etwas Positives assoziieren. Dreijährige. Eine weitere Umfrage (Jahr 2005) zeigte, dass 5- bis 8-jährige britische Mädchen mit ihrem Körper unzufrieden sind und schon wissen, was eine Diät ist. Fünfjährige.
Und somit kommen wir zum vierten Grund, der gegen Gewichtsverlustkomplimente spricht. Wenn unsere Mädchen dauernd hören, was für hübsche Frisuren sie selber tragen und wie toll ihre Mütter doch abgenommen haben, werden sie schnell daraus schliessen, dass unser Aussehen als allererstes wahrgenommen wird. Und nicht wer wir sind oder was wir zu sagen haben.
Muss auch die nächste Generation in einer Welt aufwachsen, die vom Aussehen besessen ist? In der Mädchen weiterhin dünn, schön und rosa gekleidet sein müssen? Jungs aber stark, wild und nicht-weinend? Haben wir diese Zeiten nicht längst hinter uns?
Mir ist meine eigene Gesundheit und die Gesundheit meiner Mädchen wichtig. Wir schnippeln gemeinsam Gemüse und Obst. Sie üben sich zusammen mit ihrem Vater an der Klimmzugstange und an ihrem kleinen Boxsack für Kinder. Sie kriegen mit, wie energiegeladen und glücklich ich vom Joggen oder Yoga nach Hause komme. Wir reden davon, wie es von Natur aus viele verschiedene Körperformen und -grössen gibt. Und dass jeder Mensch auf seine Art und Weise schön sein kann. Ich sage ihnen, dass es einzig darum geht, dass der Mensch sich selbst damit wohl fühlt, sich selbst schön findet. Dass es nicht an uns ist, zu sagen, ob jemand dick oder nicht dick wäre. Ich weiss aber nicht, ob das reicht.
Komplimente für Frauen 2.0
Versteht mich nicht falsch: Ich freue mich, dass ich wieder in meine alte Jeans passe. Und es ist etwas anderes, wenn mich eine andere Mutter ganz diskret fragt, wie es denn bei mir so ablief, weil sie selbst gerade an ihrem neuen «Hüftgold» leiden würde. Es gibt eben Komplimente und Komplimente.
Was soll man also sagen, wenn eine Freundin sehr viel Gewicht verloren hat und man selber sie nun mal viel attraktiver findet? Mein Vorschlag wäre: Nichts. Beisst euch auf die Zunge.
Wir müssen aufhören, den weiblichen Körper zu kommentieren, zu bewerten, zu vermessen. Lassen wir ihn doch einfach in Ruhe. Genauso wenig wie wir Body-Positive-Influencer brauchen, die uns zurufen, wir sollen unsere Körper gefälligst lieben, brauchen wir Leute, die uns zu unserem Gewichtsverlust gratulieren. Vielleicht sollten wir sowas wie eine Body-Neutral-Bewegung starten.
Und wer mit Zungenbeissen nicht viel anfangen kann: Vielleicht könnt ihr ja sowas sagen wie: Du strahlst ja richtig! Du siehst glücklich aus. Dein Lachen ist so ansteckend! Du siehst erholt aus. Ich hab dich lieb! Du siehst erfüllt aus.
Oder ganz einfach ein gutes altes: Es ist immer wieder eine Freude, dich zu sehen!
Bildrechte: ©Simona Dietiker
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Hallo zusammen, ich finde den Artikel total wichtig und auch sehr gut geschrieben. Es stimmt, dass es echt darauf ankommt, wie man Komplimente macht. Manchmal meint man es gut, trifft aber den falschen Ton. Eure Tipps hier sind wirklich hilfreich! Danke.
Wer noch mehr dazu lesen möchte, dem empfehle ich diesen interessanten Artikel hier: https://wellness.doktorabc.com/de/lebensart/wenn-die-angst-vor-kalorien-zum-ausspucken-von-nahrung-fuhrt Liebe Grüße an alle und bleibt motiviert!
Liebe Ellen
Anschlussfrage: wie hast Du den reagiert in der eingangs beschriebenen Situation mit der ehemaligen Nachbarin? Die Fragen ignorieren? Die ehemalige Nachbarin konfrontieren mit ihrer verbalen Grenzüberschreitung? Die Kinder hören ja mit… und verhindern kann man solche Kommentare wohl nicht ganz.
lg
M.
Gute Frage! Ich weiss ehrlichgesagt gar nicht mehr. Wahrscheinlich: Irritiert gewesen, dann auf dem Nachhauseweg überlegt warum und dann den Blogartikel geschrieben. ;- ) In Zukunft würde ich sowas sagen wie: „Ja ich hatte zugenommen und wieder abgenommen, das gibt es und ist ganz normal, jeder Körper reagiert anders auf die Schwangerschaft.“ oder – je nach Situation – gar nicht gross drauf eingehen, wenn anderes Thema ansteht, das vertiefen ;- )
So berührend geschrieben! Danke! Hadere nämlich gerade mit meinen 20 kg plus nach der 2. SS und hab eine 2j Tochter, die das alles mitbekommt.
You are not alone 🙂
Vielen lieben Dank für deinen Artikel!
Ich bin sowas von deiner Meinung, denn ich habe eine chronische Darmerkrankung und lasse bei jedem Schub ein paar Kilos. Anschließend höre ich, dass ich ja toll abgenommen habe und bin jedes Mal irritiert, denn für mich ist es eine leidvolle Zeit in der ich nur sehr wenige Lebensmittel vertrage. Mein Gewicht schwankt daher stets und ist nur dann niedrig, wenn ich mal wieder einen schlimmen, meist stressbedingten, Schub hatte. Einmal wurde mir sogar gesagt, dass dies ja „das Gute“ an dieser Krankheit sei… verrückte Welt.
Ebenso ging es mir in der Schwangerschaft. Ich hatte einen Krankheitsschub, musste Cortison nehmen und habe darunter eine Schwangerschaftsdiabetes entwickelt. Ich konnte nur noch sehr wenige Lebensmittel essen, ohne meinen Blutzucker in die Höhe zu treiben und damit meinem Baby zu schaden. So kam es, dass ich hoch schwanger unter meinem Vor-der-Schwangerschaft-Gewicht war. Darum haben mich Leute beneidet, das muss man sich mal vorstellen…
Also – ich bin sowas von bei dir! Auch ich habe nun eine 7 Monate alte Tochter und hoffe sehr, dass ich ihr andere Werte mitgeben kann. Schon jetzt wird ihr Äußeres bewertet und ihre „speckige Beine“ oder „ganz schön dolle“ Pausbacken angemerkt. Sie ist doch ein Baby! Ich ärgere mich dann sehr darüber. Hauptsache sie ist gesund – nichts weiter zählt doch!
Vielen Dank für das Teilen Deiner Erfahrungen mit uns, liebe Stefanie!