Wie genau Loben unseren Kindern schadet. Was wir stattdessen sagen können. Warum wir trotzdem vor echter Bewunderung ausflippen dürfen. Und weshalb diesen Text nur mutige Eltern lesen werden.
[Teil 1 des Dossiers „Loben„]
In meinen Anfängen als Mutter quittierte ich beinahe jede Regung meiner Tochter mit einem „Bravo!“. Ich war hingerissen und stolz: Dieses klitzekleine Wesen, dessen Existenz ich doch erst vor kurzem nur via Ultraschall meiner Frauenärztin wahrnehmen konnte, konnte plötzlich Klötze stapeln und in die Händchen klatschen! Und es wurde immer besser: Sie lernte plötzlich Dinge, die mein Leben einfacher machten. Selbständig essen ohne eine Sauerei zu hinterlassen, ihre Spielsachen in die Kiste einräumen, aufs Töpfchen gehen – Bravo, mein Kind, das hast Du gut gemacht!
Warum ich meiner Tochter mit meinen Bravos keinen Gefallen tat, las ich bei Alfie Kohn, Erziehungsexperte und renommierter Autor (vgl. New York Times). In seinem Buch Liebe und Eigenständigkeit“ zeigt er mit logischen Argumenten und erschreckend vielen Studien auf, warum Loben unseren Kindern schadet. Ein Thema, das bei Eltern gerne für rote Köpfe sorgt. Was ich auch sehr gut verstehe. Denn wir alle loben. Und wir alle mögen es, gelobt zu werden. Sowas positiv besetztes wie Lob kritisch zu hinterfragen, ist nicht leicht. Und wenn da jemand daher kommt und behauptet, Lob würde unsere Kinder manipulieren und gar ihrem Selbstvertrauen schaden, sitzt das erstmal. Denn das impliziert ja, dass man als Elternteil versagt habe.
«Manche Eltern, die in ihrer Kindheit zu wenig bedingungslose Liebe bekommen haben, diagnostizieren dieses Problem traurigerweise falsch und glauben, es habe ihnen an Lob gefehlt. Dann überschütten sie ihre Kinder mit Gut gemacht! und sorgen so dafür, dass wieder eine Generation nicht das bekommt, was sie wirklich braucht.» schreibt Alfie Kohn (s.52). Manche Eltern fragen sich aber vielleicht: Ist somit auch die Art schlecht, wie meine eigenen Eltern mich selbst erzogen haben? Ergo bin ich schlecht? Dabei wollte ich meinem Kind mit Lob doch ein (spoiler alert: vermeintlich) gutes Selbstwertgefühl vermitteln!
Elternsein ist sauschwer
Und so geht es bei Diskussionen ums Loben sehr oft darum, was wir Erwachsene gerne sagen möchten, statt um das was unsere Kinder wirklich hören wollen. Denn «die wirkliche Herausforderung besteht darin, über Dinge zu reflektieren, die wir tun, und uns zu fragen, ob sie wirklich im Interesse unserer Kinder sind.» (s. 63)
Zu dieser Herausforderung kommt eine zweite Herausforderung dazu. Nämlich die, dass dieses ganze Elternsein eine der schwersten Aufgaben überhaupt ist: „Mir war nicht klar, dass sich die Atemübungen, die Frauen bei Kursen zum Thema natürliche Geburt lernen, erst dann wirklich auszahlen, wenn das Kind schon lange auf der Welt ist“ (s.7) mit diesem Satz fängt Alfie Kohn – selbst zweifacher Vater – sein Buch an. Und weil es eben so anspruchsvoll ist, sind wir oft versucht den Widerstand unserer Kinder zu durchbrechen.
Unser Leben wäre einiges einfacher, wenn die Kleinen das tun würden, was wir ihnen sagen. Um das zu erreichen, greifen wir oft auf veraltete Methoden wie Strafen, Belohnungen und eben auch Lob zurück. Obwohl wir ja eigentlich wissen, dass das alles uncool ist. Und obwohl wir es eigentlich ganz anders tun wollten.
Der tägliche Druck den wir erfahren, macht es uns schwer, die Eltern zu sein, die wir eigentlich mal sein wollten:
„Die Notwendigkeit unsere Kinder ins Bett oder Auto, in die Badewanne und wieder heraus zu bekommen, macht es uns schwer, einen Schritt zurückzutreten und zu sehen, was wir eigentlich tun.“ (S. 9).
Dieser Text soll eine Einladung sein, diesen einen Schritt tatsächlich zurückzutreten. Und kurz über unsere Sprache als Eltern zu reflektieren. Über die Art und Weise nachzudenken, wie wir uns gegenüber unseren Kindern verhalten. Schliesslich haben wir alle einiges an Verbesserungspotential, oder? Mir ist es wichtig, dass ihr diesen Text nicht als Kritik an eurem bisherigen Erziehungsstil versteht. Macht euch kein schlechtes Gewissen, wenn ihr eure Kinder lobt / gelobt habt. Wie bei meisten Elternthemen gilt hier das magische Wort „authentisch“. Zu manchen Eltern mag das „Nicht-Loben“ vielleicht passen, zu anderen vielleicht nur teilweise. Alles voll okay. Vielleicht kann man das Ganze mit etwas Forscherlust angehen. Wie fühlt sich das Experiment „wertfreie Kommunikation“ für mich an? Wie reagiert mein Kind auf meine neue Kommunikation?
„Es erfordert unglaublichen Mut, zuzugeben, dass man bisher vielleicht einen falschen Weg verfolgt hat, und ein solcher Mut ist schon in sich ein wunderbares Vorzeichen für das, was die Zukunft bringen mag.“ – Alfie Kohn
Wer mutig ist, liest gerne weiter!
Warum soll Loben schaden?
Nun folgt ein Kurzabrieb von Alfie Kohns Artikel Five Reasons to Stop Saying Good Job.
1. Loben manipuliert Kinder:
Verhält sich das Kind so wie WIR es wollen, dann bekommt es von uns Lob, Zuneigung, Aufmerksamkeit. Verhält es sich nicht unseren Wünschen entsprechend, bekommt es Ablehnung, Tadel, Strafe. „Toll, dass ihr so ruhig wart im Restaurant!“ Bedingungslos würde aber heissen, ebenso stolz auf das Kind zu sein, wenn es nicht ruhig oder brav (später dann erfolgreich etc.) ist. Das sagt die Wissenschaft dazu: Rheta De Vries, University of Northern Iowa, „Piaget’s Social Theory“, Sage Journals, First Published March 1, 1997
2. Loben macht süchtig:
Lob macht abhängig von der Meinung anderer. Es konditioniert unsere Kinder dafür Dinge zu tun oder sich zu verhalten, um anderen zu gefallen. Das sagt die Wissenschaft dazu: Mary Budd Rowe, University of Florida
3. Loben stiehlt Kindern ihre Freude und Selbstvertrauen:
In dem wir bewerten, geben wir dem Kind auch vor, was es zu fühlen hat. Ein „Gut gemacht!“ heisst, dass etwas auch mal „Schlecht gemacht!“ sein kann. So gesehen, kann unser Lob das Kind verunsichern. Es wird sich fortan fragen „War das gut?“ oder „War ich gut? Bin ich genug?“ oder „Wird das meiner Mutter / Opa / Erzieherin gefallen?“. Schön wäre es doch, wenn es sich über sich selbst freuen könnte: „Ich hab’s geschafft!“
4. Loben nimmt Kindern ihre intrinsische (innere) Motivation:
Das Kind wird seinen Kuchen mit einem anderen teilen, nicht weil es von sich aus dem anderen Kind eine Freude machen will, sondern weil es dafür Mamas Lob bekommen will. Oder um es in Kohns Worten zu sagen: „Es ist der Unterschied zwischen dem Lesen eines Buches, weil man erfahren will, was im nächsten Kapitel passiert, und dem Lesen eines Buches, weil einem dafür ein Aufkleber versprochen worden ist.“ (S.43) Das sagt die Wissenschaft dazu: Studie von Joan Grusec, University of Toronto
5. Loben senkt die Leistung:
Weniger Freude, weniger intrinsische Motivation kann zu mehr Unsicherheit und mehr Abhängigkeit von anderen führen, kann zu weniger Eigeninitiative und sinkenden schulischen Leistungen führen. (Und dabei wollten wir unsere Kinder mit Lob und den Noten ja positiv verstärken und ermutigen…)
Was also sagen: 5 Lobalternativen nach Alfie Kohn
Und was können wir tun, wenn wir unsere Kinder nicht mehr loben wollen? Kohn schlägt folgendes vor (s.182):
1. Nonverbale Aufmerksamkeit schenken (statt schnell abhandeln):
Bravo! > Das Kind mit leuchtenden Augen ansehen
2. Beschreiben und echtes Interesse zeigen (statt bewerten):
Toller Aufsatz! > Du hast die Aufmerksamkeit des Lesers gleich am Anfang gefesselt!
3. Erklären, wie sich sein Verhalten auf andere Menschen auswirkt (statt konditionieren):
Du hilfst so toll! > Du hast den Tisch gedeckt, ich bin so froh, dass ich jetzt in Ruhe kochen kann und weniger Arbeit hab!
4. Zum Nachdenken anregen (statt unsere Werte aufzudrücken):
Schönes Bild! > Wie bist Du nur auf diese Idee gekommen?
5. Fragen (statt bewerten):
Gut geteilt! > Warum hast Du beschlossen, Deinem Freund etwas von Deinem Schokoladekuchen abzugeben?
Wir können uns auch mitfreuen, statt zu loben. Wertschätzen ohne zu bewerten. Anerkennung auf Augenhöhe satt eine Beurteilung von oben herab vermitteln. Wir können vor echter Bewunderung ausflippen. Es geht nicht darum zu versuchen, bestimmte Wörter zu benutzen oder zu vermeiden. Sondern auf ihre Bedeutung zu achten.
Weiter geht’s mit dem Dossier „Loben“
Nach alldem fragt man sich vielleicht: Was aber wenn ich es mir gewöhnt bin, mein Kind zu loben? Und meine Bewunderung am liebsten in die Welt hinausschreien möchte? Muss ich meine echten Gefühle verbergen? Mir dauernd auf die Zunge beissen? Davon handelt der nächste Artikel, der am kommenden Sonntag hier auf Chezmamapoule.com veröffentlich wird. Wenn euch das Thema gepackt hat, abonniert unsere Sonntagspost (so heisst unser Newsletter : ) und bleibt dran. Ich freue mich auf euch, bis bald! Hier klicken und kostenlosen Newsletter abonnieren
- Liebe und Eigenständigkeit von Alfie Kohn ist ein Buch, das ich so oft wie kein anderes kaufte, um es anderen Müttern zu verschenken. Ein Buch das ich am liebsten – hätte ich die Ressourcen – jedem frischgebackenen Elternteil noch vor der Geburt schenken würde. Ich bin überzeugt, würde jeder Mensch dieses Buch lesen, wir hätten weniger Kriege und Leid auf dieser Welt: Buch hier bestellen.
- Interview mit der Künstlerin und Maltherapeutin Alexandra Gysling auf Chezmamapoule.com: Ich seh Dich! Was wir sagen können, statt Kinderbilder zu loben.
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Mama Poule für Deine Pinnwand
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Lob hat für mich zwei Funktionen: Jemand freut sich mit mir, sagt mir damit, dass ich und meine Ziele ihm wichtig sind oder er mein Engagement wertschätzt und jemand sagt mir, was er an mir „bewundert“. Vielleicht bin ich der Ansicht, dass ich einigermaßen gut Geige spielen kann und dann sagt jemand „du hast ein richtig schönes Vibrato!“ Das freut mich doch, weil ich jetzt weiß, dass andere meine Leistung viel besser einschätzen als ich selbst. Vielleicht habe ich mich unterschätzt. Auf jeden Fall werde ich dann mit größerer Selbstsicherheit weiter am Vibrato arbeiten.
Der andere Punkt ist, dass diese Haltung mMn den Fehlschluss nahelegt, sich relativ wenig für das Kind und seine Aktivitäten oder Interessen zu interessieren. „Du hast ein Haus gemalt! Was ist das da im zweiten Stock?“ statt, „wow, das ist dir richtig gut gelungen! Du hast ja ganz schön lange geübt, gleichmäßige Dachziegel zu malen!“ Jetzt weiß das Kind, dass seine Mühe sich gelohnt hat und auch andere seine Verbesserung sehen. Und vielleicht hat es das Bild gezeigt, weil es stolz darauf war. „Du hast ein Haus gemalt“ wusste es schon. Es wollte wissen, ob Mama das Haus auch gut oder besser als die vorherigen findet. Diese Info blieb ihm aber versagt.
Was sicher richtig und tricky ist, ist die Gefahr, Kinder übermäßig zu loben! Einem 10jährigen zu sagen,.“wow, du hast deine Jacke alleine angezogen!“ klingt mehr wie ironisches Herablassung.
Ich finde es aber schwierig, wenn man verschiedene Erziehungstipps nimmt, z.B. nicht loben, nicht strafen, keine Anweisungen geben, keine Anweisungen als Fragen stellen – kannst du schon mal den Tisch decken? – dann könnte man auf die Idee kommen, einfach neben dem Kind her zu leben. Du räumst dein Zimmer nicht auf? Deine Sache. Dann mache ich das halt. Wenn du mit 16 immer noch nicht weißt, wie das genau geht. kannst du das bestimmt irgendwo recherchieren. Du ziehst die Jacke im Winter nicht an? Deine Sache. Dann gehst du halt raus und erkältest dich oder wirst von den Freunden komisch angeschaut. Konsequenzen des Lebens. Ich habe dich gebeten, etwas leiser zu spielen, weil dein Bruder krank ist? Warum solltest du das machen, du musst doch eine Bedürfnisse erfüllen. Hat der Bruder halt Pech gehabt, wenn er Kopfschmerzen oder Ohrenschmerzen davon bekommt.
Und so ein Kind fragt sich dann doch irgendwann, warum es überhaupt etwas machen soll.
Es wird in einigen Erziehungstipps gesagt, man dürfe nicht mal jemandem etwas sagen, keiner müsse etwas machen, nur, weil ein anderer etwas sagt, Dabei kommt das im Alltag ständig vor. „Bringe mir bitte ein Glas mit aus der Küche! Kannst du mir vom Supermarkt noch Brot mitbringen? Gib mir bitte mal die Butter!“ Wenn ein Kind wirklich ernsthaft gelernt hat, dass keiner ihm etwas sagen dürfe, würde es ja diese Bitten komplett verweigern – „nö, deine Sache, hole dir das selbst!“
Wenn ein Kind lernt, dass seine Bedürfnisse immer Vorrang haben, lernt es ja nicht, auf andere auch zu achten. Der Freund ist traurig, weil er eine schlechte Note bekommen hat? Sein Problem, ich freue mich über meine Eins!
Bei der Eins ist das auch so eine Sache: Da kommt man nach Hause, hat zum ersten Mal im Lebe eine Eins und die Eltern sagen nur „ja, du hast ja auch lange dafür geübt!“ Würde man sich nicht mehr freuen, wenn die Eltern das feiern würden, „Wow, deine erste Eins! Du hast dich so angestrengt! Ich bin richtig stolz auf dich!“ Und warum nicht auch nach mehreren Einsen mal sagen: „Englisch liegt dir richtig, dafür hat du eine Begabung!“ Das kann doch auch motivierend sein, ich weiß jetzt, was ich gut kann und das andere das auch wertschätzen.
Wenn alles selbstverständlich ist, ist ja alles auch irgendwie beliebig. Ich ziehe eine Jacke an oder nicht. Ich bin gut in einem Fach oder nicht. Ich komme rechtzeitig zum Essen oder nicht. Ich benehme mich im Restaurant oder nicht.
Und was machen Eltern dann? Sie sagen, „unser Kind kann sich im Restaurant nicht benehmen, wir können da auch nichts machen – wir dürfen es ja nicht tadeln oder loben, wir können ihm vielleicht sagen, was dort erwartet wird, aber wenn es dazu keine Lust hat, ist das seine Sache – also gehen wir mit dem Kind nicht mehr ins Restaurant, weil uns das peinlich ist.
Meine Eltern haben so etwas ähnliches mit meinem Bruder gemacht, der eine geistige Behinderung hatte. Keine Anforderungen, alles wurde entschuldigt. Ich wollte gern mal in den Ferien ins Museum, aber „das geht nicht, da würde sich dein Bruder langweilen und dann stören“. Im Restaurant durfte er natürlich mit den Händen essen. Bei uns auch die Wände anmalen oder Sachen zerstören, er versteht das ja nicht. Irgendwann war er 18 und nicht mehr „klein und niedlich“ und meinen Eltern war das teils übergriffe Verhalten peinlich. Sein Motto „ich darf, was ich möchte“. Da fing dann ein rigides Erziehungsprogramm an, jedenfalls aus seiner Sicht: Nicht immer jeden Film aussuchen dürfen, auch mal warten müssen, im Restaurant am Tisch sitzen bleiben müssen und mit Besteck essen, sich selbst anziehen müssen. Selbst ich als Schwester war so gewöhnt an seine Sonderbehandlung, dass er mir leid tat und ich meinen Eltern sagte, dass sie das doch nicht von ihm verlangen dürften. Er wüsste doch gar nicht, was da gerade passierte. Es dauerte auch ein paar Jahre, aber dann stellte er plötzlich fest, dass die Leute alle viel freundlicher waren, er viel beliebter geworden war, weil er nicht mehr Dinge tat und sagte, die andere vor den Kopf stießen. Weil er gelernt hatte, sich auch mal zurückzunehmen – nicht immer, aber auch mal, wie jeder andere auch. Das Ganze durch kleine Routinen, 5 min am Tag eine Sache einüben. Mit 18 saß er morgens auf der Treppe und hielt die Füße von sich gestreckt, damit man ihm die Schuhe anzöge. Und jeder wusste das und machte das ohne Aufforderung. Dann erst mal zu verstehen, dass er das auch alleine kann, auch wenn es länger dauerte, war ein lange Prozess. Und eben auch ein Schock – warum sind die plötzlich alle so unhöflich? Warum darf ich nicht als Einziger erzählen oder auswählen, warum dürfen die anderen auch? Das war doch bisher nicht so?
Ist es da nicht besser, wenn man langsam von Anfang an lernt, Dinge zu tun, die nun mal getan werden müssen, es nicht schlimm zu finden, auch mal etwas zu machen, nur, weil jemand es gesagt. hat, ohne gleich an Kosten-Nutzen zu denken?
„Warum hast du deinen Schkokokuchen geteilt?“ könnte nämlich das Kind auch auf den Gedanken bringen „ja, warum eigentlich? Hätte ich das nicht gemacht, hätte ich mehr davon gehabt! Das überlege ich mir nächstes Mal!“ Stattdessen: „Ich bin richtig stolz auf dich, dass du etwas von deinem Kuchen abgegeben hast!“ könnte doch motivieren, das später wieder zu machen, um diesen Stolz zu erleben, statt sich zu überlegen, dass man mehr hätte, wenn man nicht teilt.
Man sollte natürlich überlegen, WANN man lobt, wenn das Kind wirklich etwas geschafft hat oder sich überwunden hat oder etwas gegeben hat, das es nicht hätte geben müssen (Zeit, Aufmerksamkeit, Geduld, ggf. auch materielle Sachen). Nicht bei jeder kleinen Sache, die es sowieso schon konnte, das wäre eher demütigend.
Aber wir rufen doch auch Freunde an oder erzählen dem Partner von schwierigen Situationen, die wir gemeistert haben oder etwas, das uns im Hobby zum ersten Mal gelungen ist und hätten gern, dass man sich mit uns freut, das man das anerkennt. Und nicht nur abnickt: Ja, das ist dir zum ersten Mal gelungen! – Hm, warum erzähle ich ihm das eigentlich, er interessiert sich ja doch nicht dafür. Und er kann gar nicht erkennen, wie wichtig mir das war!
Danke, die praktischen Anregungen finde ich ganz schön und sie leuchten mir irgendwie intuitiv ein. Aber trotzdem verstehe ich das theoretische Argument nicht ganz. Wieso soll mein Kind nich wissen, welches Verhalten ich gut finde und welches ich nicht gut finde? Vor allem das Restaurant-Beispiel hat mich verwirrt. Das Kind bekommt ja auch von allen anderen Menschen in seiner Umwelt Feedback zu seinem Verhalten und wir dadurch „sozialisiert“ – also lehrt welche Regeln in seiner Gesellschaft herrschen. Soll das Argument gegen das Loben heißen, dass auch alle anderen Menschen in der Umgebung von Kindern keine bewertende Kommunikation führen sollen oder heißt das den Eltern kommt hier aus irgendeinem Grund eine Sonderrolle zu? Oder geht es nur darum nicht „zu viel“ zu loben – z.B. in Situation, wo mein Kind gar keine Reaktion von mir erwartet, weil es ohnehin intrinsisch motiviert handelt.
Danke für den Artikel und die versöhnliche Botschaft. Irgendwie habe ich den Eindruck, dass Kohn verkennt, dass Kinder zu einem guten Teil abhängige Geschöpfe sind. Damit ist immer Macht verbunden. Wir können uns als Eltern dieser Macht bewusst werden und unser Handeln entsprechend ausgleichend gestalten. Spätestens in der Schule merkt das Kind dann, dass es nicht das einzige Schneeflöckchen ist. Der Ausgang dieses Aufeinandertreffens ist manchmal brutal. Anpassung (lieber über Lob als via Strafe) ist nicht nur schlecht. Auch nicht nur gut. Das ist eben das Schwierige am Begleiten unserer Kinder.
Ich versuche immer mehr, einfach der Situation angepasst, zu reagieren. Langsam bekomme ich ein Gefühl dafür, wann ich vielleicht sage“Ja, Schatz, ich sehe dich“ oder wann ich genauer widergebe, was sie gerade gemacht hat. Mir fällt auf, dass sie sich selber einfach sehr freut, wenn sie etwas neu schafft, oder einfach auch grundsätzlich über ihr Ergebnis(Puzzle fertig). Oft rutscht mir noch ein „Toll“ oder „Super“ raus, aber ich versuche jeden Tag, dass es weniger wird