Gästin: Barbara Vorsamer, Mutter, preisgekrönte Journalistin (SZ) und Autorin

„Wer Diabetes hat, sucht eine Behandlung. Wer Depressionen hat, will eine Erklärung.“ schreibt Barbara Vorsamer in ihrem Buch ‚Mein schmerzhaft schönes Trotzdem: Leben mit der Depression‘. Und auch: „Wer Gefühle loswerden will, hat nur eine Möglichkeit: Fühlen.“

In dieser Folge fragte Ellen Barbara Vorsamer, wie man eine gute Therapeutin findet (worauf sie unter anderem erklärte „Mir geht meine Therapeutin die meiste Zeit extrem auf die Nerven, aber dafür bezahle ich sie auch.“) und auch wie Angehörige mit Depressiven umgehen sollen (unter anderem „Wie geht es Dir heute?“ fragen statt „Hoffe, es geht Dir gut.“). Und auf die obengenannte Gefühle-fühlen-Frage erklärt Barbara Vorsamer, dass es für sie in der Klinik bahnbrechend war, einzusehen, dass sie es in Ordnung finden kann, dass ihr Freund ans Oktoberfest geht, während sie eben in der psychiatrischen Klinik sitzt. Und dass sie dabei auch gleichzeitig wütend sein darf, traurig und eifersüchtig. Für Ellen – als Nichtdepressive – eine ebenfalls bahnbrechende Einsicht. Barbara Vorsamer ist ein wertvolles Buch gelungen, für depressive Menschen, für ihre Angehörigen aber auch für alle Menschen, die mit Gefühlen zu tun haben: Sprich alle.

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(Dieses Interview erschien ursprünglich im DAS MAGAZIN)

Barbara Vorsamer, in Ihrem Buch «Mein schmerzhaft schönes Trotzdem. Leben mit der Depression» schildern Sie, wie Ihr Freund Sie in der Psychiatrie besuchte und danach aufs Oktoberfest ging. Daraufhin, schreiben Sie, hatten Sie eine bahnbrechende Erkenntnis. Welche?  Als mein Freund feiern ging, dachte ich, es darf mir nichts ausmachen, ich kann ihn ja nicht zwingen zu leiden. Doch erst im Krisengespräch mit dem Nacht- dienst konnte ich meine widersprüchlichen Gefühle sortieren und ihre Gleichzeitigkeit auszuhalten lernen: Ja, es tut mir weh, und ich bin eifersüchtig und traurig, und trotzdem darf er natürlich hin. Aber nur weil ich ihm das Feiern nicht verbiete, heisst das nicht, dass ich kein Gefühl dafür haben darf. Wir finden ja Dinge oft gleichzeitig gut und schlecht. Und das Hirn sagt dann, dieses Gefühl ist falsch. Dem Ge- fühl ist das aber scheissegal, es ist trotzdem da. Das müssen wir akzeptieren lernen. Nicht wegschieben, sondern sich sagen: «Okay, ich fühle das jetzt so, auch wenn ich das Gefühl nicht verstehe oder widersprüchlich finde.» Diese Gleichzeitigkeit auszuhalten war für mich bahnbrechend. In der Therapie lern- te ich, dass wer Gefühle loswerden will, nur eine Möglichkeit hat: fühlen.

Hatten Sie noch so eine Erkenntnis?
Akzeptiere, dass du scheitern wirst. Nehmen wir das Muttersein in Patriarchat und Kapitalismus: Das ist die Quadratur des Kreises. Irgendetwas wird runter- fallen vom Tisch, pass auf, dass es nicht du bist und deine Gesundheit. Dass wir Mütter das nicht perfekt hinkriegen, liegt nicht daran, dass wir nicht schlau genug geplant haben oder dass unser Mann noch nicht kapiert hat, wie anstrengend der Alltag mit Kindern ist. Egal, wie sehr du dich optimierst, es kann nicht funktionieren, für keine von uns und deswegen wirst du scheitern. Und das ist nicht deine Schuld.

Aus Ihrem Buch spricht die Erleichterung, dass nicht immer der Grund allen Übels in der Kindheit liegt – haben unsere Eltern doch nicht alles falsch gemacht?
Wer eine Allergie hat, sucht eine Behandlung. Wer eine Depression hat, will eine Erklärung. Dabei gibt es für psychische Erkrankungen selten nur die eine Erklärung, und wahrscheinlich wird einem niemand genau sagen können, was der Hauptgrund war. Natür­lich gibt es Menschen, bei denen die Zusammenhänge klar sind, die in ihrer Kindheit schwersten Missbrauch oder Ähnliches erlebt haben. Aber das muss nicht der Fall sein. Nach über zehn Jahren Therapie bin ich der Meinung: Es waren nicht meine Eltern. Ich habe halt einfach eine Depression – genauso wie andere Men­schen Diabetes haben oder eine schiefe Hüfte. Eine therapeutische Auseinandersetzung mit der Herkunftsfamilie kann sinnvoll sein, aber es ist schwierig, dass dabei nicht ein «Mama, du bist schuld» rauskommt. Viel wichtiger als die Frage «Was haben meine Eltern falsch gemacht?» sind die Fragen «Wie kann ich damit umgehen?» und «Was hilft mir jetzt?».

Eine gute Therapeutin kann helfen. Wie findet man eine?
Das Wichtigste ist das Vertrauen und dass man die Person für wirklich kompetent hält. Sympathie kann ein Faktor sein – gerade zu Beginn – muss aber nicht. Mir geht meine Therapeutin die meiste Zeit extrem auf die Nerven, aber dafür bezahle ich sie auch.

Der Therapie-Jargon ist schwer in Mode: Ständig triggert uns etwas, und der Ex war ein Narzisst. Sollen wir so über die Psyche sprechen?
Grundsätzlich ist es eine positive Entwicklung, dass mehr über Gefühle gesprochen wird und psychische Krankheiten enttabuisiert werden. Wichtiger als die Gefühle zu zelebrieren, wäre es aber, sie wirklich zu verarbeiten – und das ist oft nicht das Gleiche. Vor allem in der öffentlichen Debatte wünsche ich mir eine Sprache, die Unterschiedliches auch unter­ schiedlich benennt. Nicht jeder, der uns verletzt, ist ein pathologischer Narzisst, es gibt schon auch noch ganz normale Idioten.

Darf man Depressive «Wie geht es dir?» fragen?
Die Frage ist schwierig, weil während einer depressi­ven Phase die Antwort immer «ganz schlecht» ist. Trotzdem wollen Freunde wissen, ob sich was verän­dert. Ich schlage daher die Frage «Wie geht es dir heute?» vor. Oder gar nicht fragen und über was ganz anderes reden. Es hat mir auch sehr geholfen, wenn mich Menschen überredet haben, ein bisschen spa­zieren zu gehen oder zusammen einen Kaffee zu trinken. Wichtig ist, dass man als Freund dabei ein Gefühl dafür entwickelt, wann es professionelle Hilfe braucht.

Und wenn der Freund sich nicht helfen lassen will?
Da muss man sich klar abgrenzen und dem Freund nicht mehr erlauben, ständig auf der Couch rum­zuliegen und suizidal zu sein. Sonst bleibt er in der Depression. Dann gilt: Ich bin nicht deine Therapeu­tin. Aber ich suche dir die Nummern raus und halte dir den Hörer hin.

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